„Die Feststellungen der Bertelsmann-Stiftung zur Armut von Kindern und Jugendlichen als Folge von Einkommensarmut der Familie sind wie jedes Mal erschreckend“, so GAL-Ratsfrau Jutta Möllers. „Ich beschäftige mich seit Ende der 80 iger Jahre des letzten Jahrhunderts intensiv mit diesem Thema und kann sagen, dass es seit Jahrzehnten am politischen Willen auf der Bundesebene mangelt, an der Lebenslage armer Kinder etwas grundlegend zu ändern. Es muss aus meiner Sicht dringend eine Kindergrundsicherung geben, die ermöglicht, dass jedes Kind gesund aufwachsen, wohlbehalten leben, gut wohnen und lernen, am kulturellen Leben teilhaben und seine Freizeit an seinen Interessen orientiert verbringen kann. Kommunal können wir an der Höhe der Regelsätze nichts ändern, aber wir tun in Münster viel dafür, gesundes Aufwachsen, (frühkindliche) Bildung und Teilhabe zu ermöglichen u.a. mit den frühen Hilfen und dem Maßnahmeprogramm einer kind- und jugendbezogenen Armutsprävention und den Angeboten vieler freier Träger der Jugendhilfe.

In Corona-Zeiten sind wichtige Stützen, wie die kostenlose Mittagsverpflegung oder die Verpflegung durch die Tafeln, vielerorts weggefallen. Die Möglichkeit, dass nach langem hin und her Cateringunternehmen das Essen zu den Kindern nach Hause bringen, ist in der Praxis kaum umsetzbar gewesen.

Hinzu kommen coronabedingte Preissteigerungen für Lebensmittel, die mit den für Ernährung vorgesehenen Minibeträgen nicht kompensiert werden können. Aufwendungen für teure Hygieneartikel und Schutzmasken sind in den Regelbedarfen gar nicht berücksichtigt. Die Ausstattung der armen Haushalte mit Internetzugang und Computer für das digitale Lernen – Fehlanzeige. Festzuhalten ist, dass die Belange von Kindern und Jugendlichen in einkommensarmen Familien in den Krisenzeiten kaum Berücksichtigung finden.

Im Mai hat der Bundestag mit den Stimmen von CDU/CSU, SPD und AFD bei Enthaltung großer Teile der FDP eine coronabedingte Soforthilfe in Höhe von 60 € für Kinder und 100 € für Erwachsene in der Grundsicherung abgelehnt. Nicht mal in Krisenzeiten wird ein Rettungsschirm für arme Kinder, Jugendliche und Familien, alte Menschen aufgespannt. Nach wie vor ist das Gegenargument, dass Eltern zusätzliche Geldleistungen nicht an ihre Kinder weitergeben würden. Das ist aus meiner Sicht und Erfahrung ein unsägliches Vorurteil; denn in der Realität sparen Eltern zuerst bei sich. „Ich habe ehrlich gesagt, die Nase voll von diesen Ausreden“.

In Zeiten wie diesen kann die Bundes- und Landespolitik innerhalb kürzester Zeit Milliardenpakete schnüren und Rettungsschirme aufspannen. Familien, die einkommensarm sind, müssen viel zu lange auf „Rettung“ warten.

Das Bundesverfassungsgericht hat bereits im Jahr 2014 das Verfahren der Regelbedarfsermittlung lediglich als derzeit noch mit der Verfassung vereinbar bewertet, dabei aber auch Anpassungsbedarf im Zuge der nächsten Neuermittlung der Höhe der Regelbedarfe festgestellt. Das ist nicht erfolgt – weder in der Regelbedarfsermittlung 2017 noch in dem aktuell vorgelegten Entwurf, der ab 2021 gelten soll.  Es ist an der Zeit, dass der Gesetzgeber endlich die erforderlichen Anpassungen vornimmt. Sonst verfestigen sich Armut und Ungerechtigkeit in der Gesellschaft weiter.“