Zwei Monate nach dem entsprechenden Ratsbeschluss kritisiert die Polizeipräsidentin, dass Menschen ohne Fahrschein in Münster nicht mehr von den Stadtwerken angezeigt werden.
Dazu erklärt Sylvia Rietenberg, Sprecherin der Grünen Ratsfraktion:
„Um es ganz klar zu sagen: Wer ohne Fahrschein den ÖPNV nutzt, verhält sich falsch, denn er oder sie beteiligt sich nicht an den entstehenden Kosten. Deshalb ist es ohne Frage richtig, dass in einem solchen Fall 60 Euro gezahlt werden müssen. Die Kritik der Polizeipräsidentin geht aber aus Grüner Sicht am Thema vorbei. Viele Expert*innen aus Justiz, Sozialverbänden, und der professinellen Suchthilfe wissen, es trifft in den meisten Fällen Menschen in finanziellen Notsituationen, häufig auch viele Sucht- oder psychisch kranke Menschen. Diese können den Fahrpreis nur mit großen Schwierigkeiten und erst recht das erhöhte Beförderungsentgelt nicht zahlen.
Fakt ist: In den Gefängnissen sitzen tausende Menschen, deren Hauptvergehen es ist, kein oder wenig Geld zu haben. Wer wegen des Fahrens ohne Fahrschein angezeigt wird und vor Gericht landet, wird in der Regel zu einer Strafzahlung verurteilt. Wer diese Strafe nicht zahlen kann, geht ersatzweise ins Gefängnis – das betrifft jede*n siebte*n Verurteilte*n. Durch die Ermittlungsarbeit und besonders durch die teure Unterbringung in einer JVA entstehen dem Staat immense Kosten – pro Fall laut Untersuchungen über 15.000 Euro. In den meisten Fällen handelt es sich um dabei um Menschen ohne Job, oft um wohnungslose Menschen und Drogenkranke.
Die Polizeipräsidentin schreibt, dass durch einen Verzicht auf Strafverfolgung des Fahrens ohne Fahrschein auch Menschen nicht gefasst werden, die zusätzlich wegen anderer Delikte gesucht werden – quasi als „Beifang“. Ihre Zahlen beziehen sich übrigens auf mehrere Jahre, wie die Polizei auf Rückfrage mitteilte. Insgesamt können diese Zufallsfunde aus unserer Sicht aber kein Argument für eine Strafverfolgung des Fahrens ohne Fahrschein sein. Mit dieser Begründung könnte man auch wahllos Passanten in der Fußgängerzone kontrollieren – da gingen sicher auch die eine oder der andere Gesuchte ins Netz.
Dass von dem Ratsbeschluss das Signal ausgehe, Fahren ohne Fahrschein sei ungestraft möglich, halten wir für absurd. Es droht weiterhin das erhöhte Beförderungsentgeld von 60 Euro, zudem plant die Bundesregierung, das Fahren ohne Fahrschein als Ordnungswidrigkeit einzustufen – analog zum Falschparken oder zu schnellem Fahren. Münster ist – wie auch Düsseldorf, Bremen und Bremerhaven – nun diesen Schritt vorangegangen.“