Die GRÜNEN in Münster stehen in Zeiten des Angriffskriegs Russlands an der Seite der Ukraine. Um einen Teil dazu beizutragen, dass der Angriffskrieg seit dem Angriff der Hamas auf die israelische Bevölkerung weiter in der öffentlichen Debatte bleibt, hat der GRÜNE münsteraner Kreisverbandssprecher, Jörg Rostek, die frisch gewählte Vorsitzende des Ukrainischen Vereins für Sprache und Kultur, Mariya Sharko, getroffen. Im folgenden Interview erfährt man, was der ukrainische Verein leistet, noch vor hat, wie man der Ukraine im kalten Winter helfen kann und wann es wieder eine ukrainische Kundgebung vor dem Rathaus geben wird.
Jörg Rostek: Sie kommen gerade aus der Mitgliederversammlung ihres Vereins, die einmal im Jahr stattfindet. Es standen Wahlen an und Sie wurden wieder gewählt.
Mariya Sharko: Ja, ich wurde wieder gewählt und das sogar eine Stufe höher. Ich war früher die stellvertretende Vorsitzende. Jetzt bin ich Vorsitzende.
Jörg: Herzlichen Glückwunsch!
Mariya: Danke. Ich freue mich sehr darüber.
Jörg: Hätte ich das gewusst, hätte ich Blumen mit gebracht. Aber das war sicherlich nicht der einzige Tagesordnungspunkt.
Mariya: Nein. Es gab einige. Zum Beispiel unser Rückblick über das vergangene Jahr. Darüber, dass wir als Verein gewachsen sind. Was wir als Verein seit Beginn des russischen Angriffskrieges gegen die Ukraine alles geschafft haben; das ist einfach enorm.
Jörg: Ihr Verein macht die ukrainische Kultur wieder lebendig. Kann man das so sagen?
Mariya: Wieder lebendig. Neu lebendig. Oder einfach: lebendig, würde ich sagen. Das ist das Ziel unseres Vereins. Wir haben den Verein 2019 gegründet, um die Ukraine in Deutschland bekannter und sichtbarer zu machen. Ich hatte das Gefühl, bis 2014 war im gesamten die Ukraine in Deutschland überhaupt nicht präsent.“
Jörg: Und jetzt kennt jeder die Serie „Diener des Volkes“ und hat sie auf Netflix gesehen.
Mariya: Ich habe die Serie geguckt zu Beginn, als Sie raus kam, als noch gar nicht klar war, das Selenskyj Präsident werden könnte. Es ist eine witzige Serie, aber von heute aus gesehen etwas überholt. Was ich gut finde ist, dass die Menschen darüber mehr über die Ukraine erfahren.
Jörg: Sie als Verein machen keine Serie, sondern sie haben einen Chor, Tanz, Feste…
Mariya: ..und zwei Schulen; eine für Kinder und eine für Erwachsene. Wir bieten Lesungen in der Staatsbibliothek für Kinder und für Erwachsene an. Das sind Veranstaltungen, die regelmäßig laufen.
Jörg: Was passiert in ihren Schulen?
Mariya: Bei uns wird in ukrainischer Sprache unterrichtet. Insbesondere den Eltern, die aus der Ukraine gekommen sind, ist es wichtig, dass ihre Kinder Ukrainisch lernen. Es kommen aber auch viele Erwachsene zu uns, die bisher hauptsächlich russisch in der Ukraine gesprochen haben und jetzt sagen, sie würden gerne jetzt richtig Ukrainisch lernen. Außerdem haben wir zwei Sprachklubs auf Deutsch um die Menschen, die hier sind, beim Lernen der deutschen Sprache zu unterstützen. Donnerstags für Anfänger und freitags für Fortgeschrittene.
Jörg: Ich war gerade mit meinem Kleinen im Spielzimmer, dass Sie hier eingerichtet haben, damit die Eltern an der Versammlung teilnehmen können. Da haben viele Kinder miteinander gespielt. Sprechen sie da eher Ukrainisch oder eher Russisch?
Mariya: Das ist unterschiedlich. Je nachdem wie sie mit ihren Eltern sprechen. Es gibt auch einige, die Sprechen dann russisch, wenn sie wissen: mein gegenüber spricht auch russisch.
Jörg: Ihre Amtszeit dauert jetzt zwei Jahre. Was möchten Sie in dieser Zeit mit Ihrem Verein erreichen?
Mariya: Vergangenes Jahr haben wir viel für die Menschen aus der Ukraine getan, die hier seit Beginn des Angriffskriegs leben. Wir haben sie vernetzt, damit sie in Deutschland Fuß fassen, damit sie sich untereinander kennen, damit sie wissen, da ist der Anlaufpunkt, da kann ich hin kommen, da bekomme ich Hilfe. In Zukunft wollen wir die ukrainische Kultur, unsere Sprache und Traditionen noch mehr nach außen in die Deutsche Gesellschaft tragen. Wir wollen uns beispielsweise mehr an Veranstaltungen beteiligen. Wir sind jetzt Teil der münsteraner Stadtgesellschaft und werden uns auch als solche präsentieren.
Jörg: Wollen Sie auch etwas für die Menschen in der Ukraine tun?
Mariya: Wir als Verein können das nicht, weil wir einen anderen Vereinszweck haben. Aber aus der Initiative unseres Vereins sind andere Initiativen entstanden. Wir haben zum Beispiel seit einiger Zeit in Münster eine Filiale von dem Verein „Blau-Gelbes Kreuz“ mit Sitz in Köln. Das ist ein riesiger Verein, der sich auf die Hilfe für die Ukraine spezialisiert hat und finanzielle Hilfe leistet und Hilfsgüter organisiert. Mitglieder aus unserem Verein haben eine weitere Initiative angestoßen, die Spenden für die Ukraine sammelt. Wir haben auch ein Spendenkonto beim Bistum Münster eröffnet. Mit dem Geld, was dort eingeht, werden Projekte, die der Ukraine zugute kommen, realisiert und gefördert.
Jörg: Das heißt, wenn jemand spenden will, gibt es viele Optionen dies zu tun oder man kann Sie anrufen und sie geben Tipps, wo das Geld gut aufgehoben ist?
Mariya: Genau. Gerne kann man sich an mich oder die anderen Vereinsmitglieder wenden, wenn man spenden möchte. Wir erzählen, welche Projekte gerade aktuell sind und wo Hilfe benötigt wird. Dann geht die Hilfe in die Ukraine.
Jörg: Der Winter kommt. Zahlreiche Militärblogger sagen, Russland würde Raketen sparen, um im Winter die Infrastruktur der Ukraine massiv anzugreifen und zu vernichten, um die Bevölkerung zu zermürben. Was befürchten Sie?
Mariya: Das ist schwer einzuschätzen und ich bin keine Militärexpertin. Ich kann mir aber gut vorstellen, dass Russland das machen wird. Es war schon letztes Jahr sehr schlimm, ich denke, dass das auch in diesem Winter passieren wird.
Jörg: Seit dem Massaker der Hamas richtet sich der Blick der Öffentlichkeit stark nach Israel und in den Gazastreifen. Und ich spreche auch mit der Absicht mit Ihnen, dazu beizutragen, dass die Geschehnisse in der Ukraine nicht aus den Augen verloren werden. Haben Sie den Eindruck, dass das gerade passiert?
Mariya: Ja, natürlich. Durch diesen Angriff wurde die Aufmerksamkeit in den Nahen Osten gelenkt. Das merkt man an den Nachrichten. Und wir merken das auch bei den Veranstaltungen, die zur Ukraine stattfinden. Die Teilnahme und das Interesse der Menschen ist erkennbar gesunken, weil die Menschen sagen, aha, da ist auch Krieg, da müssen wir drauf gucken und ich kann das auch nachvollziehen.
Jörg: Aufmerksamkeit ist ein knappes Gut. Vor allem die Aufmerksamkeit der Medien. Am 24. Februar wird der Angriffskrieg zwei Jahre alt. Was planen Sie für diesen Jahrestag?
Mariya: Es wird auf jeden Fall wieder eine Kundgebung vor dem Rathaus in Münster geben. Das ist das Mindeste, was wir tun können.
Jörg: Jetzt gibt es in Deutschland gerade eine sehr intensive Debatte über Zuwanderung und Flucht. Verfolgen Sie das?
Mariya: Ja sicher.
Jörg: Es geht viel um Abschiebung, viel um Duldung, viel um Kürzung der Sozialhilfe für Geflüchtete. Was denken Sie darüber?
Mariya: Ja, ich mache mir schon bisschen Sorgen, dass die deutsche Gesellschaft radikaler wird und dass die AfD immer mehr gewählt wird. Ich frage mich, ob wir uns in ein paar Jahren noch sicher fühlen können als nicht Deutsche oder als Menschen mit Migrationshintergrund. Ich weiß, dass in der Debatte nicht primär über die Menschen aus der Ukraine diskutiert wird. Ich glaube, dass manche Menschen Angst vor Fremdheit haben und diese Angst einfach etwas aus dem Ruder läuft.
Jörg: Wenn die AfD mitregiert, gibt es keine Waffen mehr für die Ukraine.
Mariya: Ja, das macht mir auf jeden Fall Sorgen.
Jörg: Und die Wahl in den Vereinigten Staaten? Wenn Donald Trump wieder gewählt werden würde, würde das gleiche passieren.
Mariya: Dann wird es der Ukraine noch schlechter gehen. Aber auch vielen anderen Ländern.
Jörg: Kriegen Sie mit, wie sich die Ukraine selbst verändert durch den Krieg? Welches Land erwartet diejenigen, die irgendwann in die Ukraine zurückkehren?
Mariya: Ein zurück in ein Land, wie wir es kannten, wird es nicht geben. Es wird anders sein. Es gibt nun viele Menschen, die traumatisiert sind. Mit denen muss man arbeiten und das jahrelang. Viele karitative Institutionen in der Ukraine nehmen sich den Menschen bereits an. Wir dürfen jetzt nicht einfach warten, bis der Krieg zu Ende ist. Wir müssen heute schon für den Frieden arbeiten.
Jörg: Ja, Frieden bedeutet nicht nur das Schweigen der Waffen, sondern muss auch im Kopf stattfinden.
Mariya: Genau. Der russische Angriffskrieg gegen die Ukraine ist der beste Beweis, dass das stimmt.