Die Haushaltsrede unserer Sprecherin Sylvia Rietenberg:

Sehr geehrter Herr Oberbürgermeister,
Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen, liebe Anwesende im Saal und im livestream,

Schon wieder geht ein Jahr zu Ende- lassen sie mich zurückblicken.
Wissen Sie noch, wie Sie sich gefühlt haben, als Sie am Morgen des 24. Februar das Radio angeschaltet oder auf Ihr Handy geschaut haben? Als Sie realisiert haben: Er hat es wirklich gemacht? Putin und seine Helfershelfer überfallen die Ukraine. Es ist Krieg und der ist verdammt nah?

Ich weiß noch, dass mir in diesem Moment Fragen durch den Kopf schossen: Was bedeutet das? Was sind die Folgen? Wie und wo wird das enden? Das waren damals die Fragen – und sie sind es teilweise auch heute noch.
Dieser Krieg ist eine echte Zäsur – auch wenn man das mit Blick auf das aktuelle bunte Treiben auf dem Weihnachtsmarkt kaum glauben mag.

Und doch: Münster hat seitdem zahlreichen Frauen, Männern und Kindern aus der Ukraine Schutz vor diesem verbrecherischen Krieg gegeben. Verglichen mit deren Schicksalen, schrumpfen unsere Sorgen vor hohen Gas- und Strompreisen zusammen.
Aber natürlich wirkt sich dieser Krieg auch auf uns, auf unsere Stadt und auf unseren städtischen Haushalt aus.

Angesichts dieser großen Herausforderungen möchte ich zunächst einmal meinen Dank an alle Beteiligten in der Stadtverwaltung richten, die mit der Bewältigung dieser Krise beschäftigt waren. Sie haben Immenses geleistet, vielen Dank!

Vor dem Hintergrund der aktuellen Krise bin ich aber besonders dankbar, dass es der Kämmerin und ihrem Dezernat gelungen ist, trotz der Unwägbarkeiten, einen Haushalt aufzustellen, der uns finanzpolitisch Hoffnung macht. Erstmals ist ein klarer Pfad in Richtung eines – auch strukturell – ausgeglichenen Haushalts erkennbar. Wir Grüne stehen dafür, dass wir diesen Weg der haushaltspolitischen Vernunft konsequent weitergehen.

Über die einzelnen Themen im Haushalt haben wir in den Fachausschüssen und Bezirksvertretungen ausführlich diskutiert. Danke für die konstruktive Debatte an alle Beteiligten – ganz egal aus welcher Fraktion oder Gruppe.
Besonderer Dank geht auch an euch, liebe Koalitionspartner*innen und an die Internationale Fraktion, dass wir heute zum dritten Mal gemeinsam den Haushalt beschließen werden.
So geht ein verantwortungsvoller Umgang mit politischen Herausforderungen!

Und Herausforderungen gab es in diesem Jahr in Münster genügend, auch abseits des Krieges. Wir Grüne haben dabei immer wieder gezeigt, dass es uns um Lösungen für diese Stadt und ihre Menschen geht, egal, ob sie uns 2020 gewählt haben oder nicht.

Wir stehen für pragmatische, vernünftige Kompromisse allemal bereit – selbst, wenn die daraus resultierenden Entscheidungen nicht bei allen Grünen Jubel auslösen.
Angefangen bei der Entscheidung zum Musikcampus, über den Gasometer und das Preußenstadion, bis zur Neuordnung der Schulbauten:
Ohne uns wären diese endlos Problemthemen der Politik in Münster auch 2022 nicht gelöst worden.

Und apropos „endlos“: Vor 33 Jahren stand ihr Vorgänger Herr Lewe, Dr. Jörg Twenhöven, auf dem Sentenzbogen vor zehntausenden Preußen-Fans, die über den Aufstieg in die Zweite Liga jubelten. „Ihr bekommt Euer Stadion“, versprach er ihnen. … Was ist aus diesem Versprechen geworden?
33 Jahre und ein ziemlich marodes städtisches Stadion später stellen wir mit dem aktuellen Haushalt das Geld fürs neue Stadion zur Verfügung.
Um es mal klar zu sagen: Hätte Politik – und insbesondere wir Grüne – hier nicht nach Kompromissen und Lösungen gesucht, wäre wahrscheinlich auch die nächsten 33 Jahre nichts passiert.

Und damit sind wir beim Thema: Warum passiert in Münster in manchen Bereichen so wenig? Ich denke hier an den dringend notwendigen Klimaschutz, und hier besonders an die Verkehrspolitik, die im wahrsten Sinne des Wortes „im Stau steht“. Der Verursacher dieses Staus ist auch nur wenige Meter entfernt.

Lieber Markus Lewe, wir verstehen uns oft sehr gut. Dennoch oder gerade deshalb: Ich vermisse die Führung eines Oberbürgermeisters, der auch als Entscheider sichtbar vorangeht, der klare Prioritäten setzt und diese dann auch gegen Widerstände durchsetzt.
Denn was erleben wir Tag für Tag in Münster? Ich kann gar nicht mehr zählen, auf wie viele Masterpläne, Handlungskonzepte und Ideenwettbewerbe wir aktuell warten – gerade beim Verkehr.

Masterplan Mobilität? Wurde 2017 beantragt – kommt Ende 2023. Hoffentlich.

Das integrierte Parkraumkonzept? Sollte Ende 2021 fertig sein – der erste Zwischenbericht ist für das zweite Quartal 2023 angekündigt.

Elektro-Ladesäulen? 2021 haben wir 200.000 Euro bereitgestellt. Seitdem warten wir auf ein Standortkonzept. Komisch, in Hamm und Dortmund stehen die Ladesäulen bald flächendeckend.

Ein vernünftiger Preis fürs Anwohnerparken? Da brauchen wir erstmal eine Studie.

Lieber Markus Lewe, lieber Stadtbaurat Denstorff, liebe CDU.
Das ist einfach viel zu wenig. So geht es nicht.

Ihre Verkehrspolitik aus der Lenkrad-Perspektive muss aufhören. Es muss endlich um eine Verkehrspolitik gehen, die den immer knapper werdenden öffentlichen Raum gerecht gestaltet; deren Geist davon geleitet ist, dass die Menschen – und nicht die Autos – im Fokus der verkehrs-und stadtplanerischen Entscheidungen stehen.

Und genau weil uns der verkehrspolitische Geist antreibt, der die Menschen ins Zentrum setzt, schaffen wir Platz auf den Gehwegen und behandeln den öffentlichen Raum in Münster als wertvolles Eigentum aller Menschen.

Und ja, ich habe im Grundgesetz nachgeschaut: Es gibt kein Grundrecht auf kostenlosen Parkraum.

In diesem Haushalt schlagen wir deshalb Pflöcke ein, für eine zeitgemäße Bewirtschaftung des öffentlichen Raums und für ein Ende der lächerlichen 5 Cent am Tag, die das Anwohnerparken in Münster aktuell kostet. Wir verramschen nicht länger den öffentlichen Raum unserer Stadt. Wir fördern Busspuren und führen ein günstiges Ticket in der Region als Ergänzung zum bundesweiten 49-Euro-Ticket ein.

Und wie reagiert die CDU?
Nun, dass Sie als Opposition unsere Ideen nicht begrüßen, kann ich gut verstehen. Aber kommt da mal irgendein konstruktiver Gegenvorschlag, außer der Dauervorwurf, wir seien ideologiegesteuert? Irgendeine Idee, wie man wenigstens einen Teil der 80% Autopendler*innen aus dem Umland in Bus und Bahn bekommt? Eine Idee dazu, was mit Gehwegparkern passieren soll? Wie wir die enormen klimaschädlichen Emissionen des Verkehrsbereichs reduzieren können? Da und an vielen anderen Stellen kommt außer Gemecker und Gemäkel viel zu wenig von ihnen.

Bemerkenswert dabei, wie wenig Substanz ihre Kritik hat. Schreiten wir zur Tat, wie etwa beim Domplatz, rufen Sie: „Brechstange, das geht zu schnell!“ Vor wenigen Wochen klang das hier im Ratssaal noch ganz anders, da kritisierten Sie, wir würden alles auf die lange Bank schieben.
Ja, was denn nun? Sie müssen sich schon entscheiden.

Aber eine Illusion, die muss ich Ihnen in jedem Fall nehmen: Früher war nicht alles besser, und Stillstand hilft uns jetzt nicht weiter. Jetzt sind Mut zu neuem Denken und innovative Konzepte mehr denn je gefragt!

Wie das ganz praktisch geht, zeigen wir später in der Sitzung beim Thema Bauen in der Stadt. Mit einem sehr breiten Bündnis – inklusive konstruktiver Opposition – schaffen wir endlich eine nachvollziehbare Ordnung im Stadtkonzern. Die Bauwerke bauen, die Stadtwerke kümmern sich um Energie und Mobilität.

Und deshalb sorgen wir, die Koalition, auch 2023 dafür, dass Klimaschutz im realen Geschehen in Münster immer mitgedacht und nach vorne gebracht wird und nicht nur als leere Versprechen in den Reden des OB als Städtetagspräsident auftauchen.

Das Bündnis übernimmt 2023 die Verantwortung für den gesamten städtischen Haushalt und hat hierbei übrigens auch die soziale Balance in dieser Stadt im Blick.

Damit in dieser Krisenzeit auch Menschen mit weniger Einkommen nicht gänzlich den Boden unter den Füßen verlieren, stellen wir Gelder für einen Energiefonds in den Haushalt ein.

Wir finanzieren auch dieses Jahr wieder soziale Projekte, um Wohnungslosigkeit zu bekämpfen und Menschen in Not zu unterstützen.
Wir investieren in die Zukunft des gemeinwohlorientierten Wohnens, indem wir ein Darlehensprogramm für neue Genossenschaften auflegen.
Mit der Offensive für Fachkräfte werben wir dringend notwendiges Personal in Kitas und OGS-Bereich an.

Wir sorgen dafür, dass auch die klimafreundliche Wärmewende gelingt: mit klimaneutraler Fernwärme und mit Tiefengeothermie.
Und: Wir haben die Fördermittel für den Klimaschutz in Wohnhäusern und den Etat für Baumpflanzungen in Münster erheblich angehoben.

Sehr geehrter Herr Oberbürgermeister, liebe Kolleginnen und Kollegen,
niemand weiß, was das Jahr 2023 bringen wird – aber wir sind gut vorbereitet.
Wir bitten deshalb nun um Ihre Zustimmung für diesen Haushalt, der die Stadt Münster ökologisch und sozial gerecht- und damit zukunftsfähig macht.