Die Entscheidung der UEFA das Münchner Olympiastadion nicht in Regenbogenfarben zu erleuchten, hat zu massiver weltweiter Kritik geführt. In Münster wurde ein queer-feministisches Kunstwerk, der „Vulventempel“, durch Fremdeinwirkung erheblich beschädigt. Wir haben mit den Künstler*innen Lisa Tschorn und Nadja Rich über ihr Kunstwerk und die Bedeutung queer-feministischer Kunst gesprochen – und gemeinsam den Vandalismus überwunden.

Danke, dass ihr euch bereit erklärt habt, unsere Fragen zu beantworten. Ich denke, die Leute sollten zunächst etwas über die Vorgeschichte dieses Interviews erfahren. Wir GRÜNE wollten ja zunächst eine Pressemitteilung über die Beschädigung eures Kunstwerks veröffentlichen und haben das dann nach dem persönlichen Gespräch mit euch nicht getan und uns dann für den Weg des Interviews entschieden. Ihr hatten dafür gute Argumente. Könnt ihr die bitte nochmal kurz zusammenfassen?

Gerne, Ausgangspunkt diesen Gesprächs war unsere Ausstellung „Vulventempel“, die im Mai/Juni 2021 am Aassee in Münster zu sehen war. Wir beide – Lisa Tschorn und Nadja Rich – haben dort gemeinsam mit acht weiteren Künstler*innen zehn großformatige, dreieckige Malereien in der Außenverstrebung des so genannten Wewerka-Pavillons installiert. Unsere Malereien zeigten Vulven, bunt, divers und verschiedenartig gemalt. Wir haben unsere Arbeit als performativen Prozess begriffen. Genauso waren daneben, vorbereitende Workshops mit der ganzen Gruppe, Teil unseres Prozesses, der immer auch ein Lernprozess ist. In diesem Sinne haben wir schon früh über die Möglichkeit nachgedacht, dass es zu Vandalismus kommen könnte und das in unser Konzept eingebunden. Auch wenn die Ausstellung jetzt verpackt im Lager liegt, dauert dieser Prozess an, auch jetzt, während wir dieses Gespräch führen und das Projekt Vulventempel ist noch lange nicht zuende.
Drei Wochen lang hat die Ausstellung Gemüter erregt und erfreut und wurde trotzdem physisch in Ruhe gelassen, bis sie in der letzten Ausstellungswoche doch noch beschädigt und mit Parolen beschmiert wurde. Wir wollen trotzdem nicht, dass die Ausstellung in der kollektiven Erinnerung auf den Vandalismus reduziert wird, weil dies der Arbeit nicht gerecht wird. Nicht unsere Körper wurden verletzt oder beschmiert, sondern nur ein paar Leinwände. Insofern wollen wir dem Vandalismus in der weiteren Diskussion nicht so viel Raum bieten. Auch, weil unsere Erfahrung mit Pressearbeit in dieser Ausstellung gezeigt hat, wie schnell wir verkürzt und missverständlich dargestellt werden könnten. Uns ist nicht wichtig, wer die Täter*innen sind oder aus welchem Beweggrund sie gehandelt haben. Für uns ist das ein Anlass, um weiter damit künstlerisch zu arbeiten. Der Vorfall zeigt, dass die Arbeit eine gesellschaftliche Relevanz hat. Dies wurde auch deutlich durch eine sehr kontroverse Diskussion unserer Arbeit in den sozialen Netzwerken. Von dieser Diskussion ausgehend, entwickeln wir aktuell einen Beitrag für das „Festival der Demokratie“ im Oktober. Außerdem wird es einen Beitrag zum Vulventempel geben bei der Sammelausstellung der Atelierhäuser, die schon ganz bald im Hawerkamp stattfindet.

Ihr betrachtet euch als queerfeministisches Kunstler*innenkollektiv. Vielleicht für alle, die nicht wissen, was das bedeutet; könnt ihr beschreiben, warum euch das wichtig ist.

Das, worum es uns als temporäres Künstler*innenkollektiv ging, stand nicht von Anfang an fest, sondern ist etwas das im Prozess erwachsen ist. Als zentral formulieren wir, dass Vulva nicht gleich Frau heißen muss. Es gibt genauso Menschen mit Vulva, die sich selbst nicht in binären Kategorien begreifen, also als Mann oder Frau. Allen gemeinsam ist, dass sie Raum zum Leben und Entfalten brauchen, das sollte eigentlich selbstverständlich sein. In diesem Sinne ist Feminismus als politisches Anliegen, mittlerweile nicht mehr nur Kampf für Frauenrechte, sondern ein Kampf für Menschenrechte. Das bedeutet auch ein Kampf für einen freien Umgang mit Lebensentwürfen, die jenseits von Vater-Mutter-Kind liegen. Was nicht heißt, dass wir gegen traditionelle Lebensentwürfe sind, die gibt es und soll es auch geben, nur eben nicht als einzige Option, sondern als eine Möglichkeit von vielen. Für uns konkret war es wichtig, dass wir den Menschen gerecht werden, die Teil unseres temporäres Kollektivs sind, und das sind einfach diverse Menschen.

Was ist eurer Meinung nach die Aufgabe queerfeministischer Kunst? Was sollte sie bei den Betrachtenden bzw. in der Gesellschaft bewirken?

Eine der tollsten Funktionen von Kunst ist es, dass sie in Form von Bildern oder zum Bespiel Musik, für das sonst oft Unsagbare Ausdruck findet. Ich fühle mich so wie…ach, hier hör dir dieses Lied an, so fühle ich mich. Kunst schafft Bilder und so weiter, die es ermöglichen, das zu kommunizieren, was man als seine Erfahrungswelt fühlt. Kunst die queerfeministische Perspektiven integriert, ergänzt in diesem Sinne den bisherigen Kanon und ist einfach eine weitere Perspektive. Gerade zeigt sich das besonders in Ungarn, wo queere Kunst aktuell kriminalisiert wird.

Könnt ihr weitere queerfeministische Künstler*innen empfehlen, falls beim Lesen des Interviews jemand auf den Geschmack gekommen ist?

Lisa studiert an der Kunstakademie Münster in der Klasse für performative Kunst bei Nicoline van Harskamp (https://www.klassevanharskamp.de/ ). Es ist kein Zufall, dass viele, der am Vulventempel beteiligten Künstler*innen aus dieser Klasse kommen. Wobei sich diese Beschäftigung und das Bewusstsein mit identitären Fragen, durch die meisten Akademie Klassen zieht. Auch empfehlenswert ist die aktuelle Ausstellung „Journey Through a Body“ in der Kunsthalle Düsseldorf und wenn ihr gerne lest, ist der Münsteraner Verlag Edition Assemblage erwähnenswert.

Was kann die Politik, also die gewählten und ernannten Menschen in den Gremien tun, um euch zu unterstützen? Wollt ihr diese Unterstützung überhaupt?

Was unsere Ausstellung „Vulventempel“ angeht ist es einfach: wir haben Lust die Arbeit fortzusetzen und weitere temporäre „Vulventempel“ an anderen Orten, vielleicht auch mit anderen Menschen zu machen und damit weiter zum Diskurs anzuregen. Insofern freuen wir uns über Einladungen und, da so etwas auch Material und Arbeit erfordert, auch über finanzielle Unterstützung. Vielleicht kennt ihr Menschen, die uns dabei helfen können, eine Ausstellung im Mauerpark in Berlin zu machen? Davon abgesehen, hat es uns schon geholfen, dass es offizielle Stellungnahmen gab und auch über euer Angebot einer Stellungnahme haben wir uns gefreut. Vielen Dank für dieses Gespräch!

Danke für die Antworten!
Die Fragen stellte Jörg Rostek, Co-Kreisverbandssprecher der Grünen in Münster.