Sehr geehrte Damen und Herren,
ich fang mal mit dem letzten Satz unseres gemeinsamen Antrags an, der da lautet:
„Das beantragte Hearing soll nicht nur politikspartenübergreifend für das Thema in all seinen Facetten sensibilisieren und informieren, sondern auch zu einer qualifizierten und vollständigen Umsetzung der Kinderrechte für unbegleitete, minderjährige und junge Flüchtlinge in unserer Stadt beitragen“.
Zunächst einmal möchte ich mich im Namen der Grünen Ratsfraktion bedanken bei der Verwaltung für die Vorbereitung des Hearings und bei Herrn Paal für die umfassende lebendige Darstellung der Ausgangssituation aus der Perspektive der Kinder sowie bei der Referentin Ulrike Schwarz vom Bundesverband UMF und bei Dir, Volker Maria Hügel, für die beeindruckenden und detaillreichen Vorträge.
Vorweg kann ich sagen, dass ich kürzlich Frau Arnkens-Homann als Referentin beim LWL erlebt habe, bei der sie das Flüchtlingskonzept der Stadt Münster dargestellt hat. Und da war ich schon stolz, in dieser Stadt zu leben, die sich in dieser Beziehung einiges auf die Fahne geschrieben hat, wie das dezentrale Unterbringungskonzept, die Standards hinsichtlich der Größe der Einrichtungen – auch wenn wir sie momentan nicht einhalten können heißt das nicht, dass wir darauf verzichten – , die Betreuung der Flüchtlinge, die Versorgung mit Kitaplätzen, dass die Bildungsberatung direkt in der städtischen Erstaufnahmeeinrichtung verortet ist, das Konzept der Fallscouts für die neu zugewanderten Schülerinnen und Schüler, die pädagogischen Angebote der offenen Kinder- und Jugendarbeit mit dem Ziel, sie an die Regelangebote heranzuführen, um nur einige Beispiele zu nennen und nicht zu vergessen das große ehrenamtliche Engagement vieler Bürgerinnen und Bürger oder auch von Verbänden und Vereinen.
Ich finde den Teil Sensibilisierung und Information sehr gelungen. Er hat aber auch deutlich gemacht wie komplex unser heutiges und zukünftiges Thema ist. Und wie emotional angesichts des unfassbaren Elends und des Leids, der psychisch hoch belastenden Erfahrungen durch Krieg und Gewalt im Herkunftsland und auf der langen Flucht, durch die Trennung von wichtigen Bezugspersonen wie Eltern oder Geschwister, die diese jungen Menschen mit und ohne (elterliche) Begleitung erleben mussten.
 
Das Hearing heute kann aus unserer Sicht daher auch nur ein Auftakt dafür sein, uns intensiv mit den Fragen zur vollumfänglichen Umsetzung der Kinderrechte zu beschäftigen:

  • Wie können wir kind- bzw. jugendgerechte Standards in den Unterkünften sicherstellen?
  • Wie können wir medizinische oder auch therapeutische Angebote migrationssensibel gestalten?
  • Präventionskette Frühe Hilfen, angefangen Schwangerschaft/Geburt bis hin zum Übergang Schule Beruf, Familienbesuche, Stärkung von Elternkompetenz, Ermöglichen von Teilhabe etc……

und Intervention (migrationssensibler Kinderschutz), Hilfen zur Erziehung – da haben wir schon was….

  • Wie können wir dafür sorgen, dass der Aufenthaltsstatus der Kinder und Jugendlichen schnellstmöglich geklärt ist; denn wir wissen ja, dass die Unsicherheit die jungen Menschen sehr belastet und diese Belastung ihre Persönlichkeitsentwicklung und Entfaltung entgegen stehen.
  • Was müssen wir dafür tun, dass die Verwaltungsabläufe der verschiedenen Ämter transparent und nachvollziehbar und unter der Prämisse Kindeswohl gestaltet werden?
  • Und wir müssen eine Praxis im Umgang mit unbegleiteten minderjährigen Flüchtlingen (weiter-)entwickeln, die dem Schutzbedürfnis und dem Unterstützungsbedarf dieser jungen Menschen gerecht wird. Dazu sind erhebliche Kompetenzen in diesem Bereich aufzubauen und die sozialpädagogische Praxis voranzubringen; denn sie haben wichtige Themen wie Bildung und Schulabschlüsse, Perspektivklärung, Kulturelle und persönliche Integration, Entwicklung eines demokratischen Verständnisses, Verstehen und Versöhnen mit der eigenen Geschichte, Aufbau eines selbstbestimmten Lebens zu bearbeiten.

Soll das Hearing einen Beitrag zu einer qualifizierten und vollständigen Umsetzung der Kinderrechte beitragen, reicht also nicht, dass wir darüber geredet haben.
Daher möchten wir gern zu einer Vereinbarung darüber kommen, wie es uns gelingen kann, die Kinderrechte für alle jungen Flüchtlinge umzusetzen. Unseres Erachtens brauchen wir dafür einen gemeinsamen Prozess der in diesem Kontext arbeitenden Akteure, der Verwaltung und der Politik. Daher ist unsere Bitte an die Verwaltung einen Prozessfahrplan zu erstellen, der die Themen strukturiert und die zu beteiligenden Institutionen von der Flüchtlingsberatungsstelle über das Amt für Kinder, Jugendliche und Familien, das Amt für Schule und Weiterbildung, Jugendhilfeeinrichtungen, Träger, die in Flüchtlingsunterkünften tätig sind, etc. vorzuschlagen und dem Rat vorzulegen.
Nun möchte ich noch auf die unbegleiteten minderjährigen Flüchtlinge eingehen:
Im Jahr 2005 hat der Bundesgesetzgeber mit der Neufassung des § 42 SGB VIII eine Primärzuständigkeit der Jugendhilfe und der Jugendämter für die unbegleiteten minderjährigen Flüchtlinge geregelt; demnach sind Jugendämter berechtigt und verpflichtet, unbegleitet einreisende ausländische Minderjährige bis zur Vollendung des 18. Lebensjahrs in Obhut zu nehmen, sofern sich weder Personensorge- noch Erziehungsberechtigte in Deutschland aufhalten. Es ist dann unverzüglich ein Vormund zu bestellen, d.h. konkret ist innerhalb der ersten drei Werktage das Familiengericht einzuschalten.
Unbegleitete minderjährige Kinder und Jugendliche gehören zu den schutzbedürftigsten Personengruppen überhaupt und haben nach der UN-Kinderrechtskonvention ein Recht darauf, dem Kindeswohl entsprechend untergebracht, versorgt und betreut zu werden.
Gemäß der EU-Aufnahmerichtlinie soll eine Aufnahme der unbegleiteten Minderjährigen zuvorderst bei erwachsenen Verwandten erfolgen. Wenn dies nicht möglich ist, soll die Unterbringung in einer Pflegefamilie erfolgen. (Frage: welche Initiativen müssen wir hier in Münster ergreifen, um zum Beispiel Pflegefamilien zu finden? zu beraten und zu betreuen?)
Steht eine Pflegefamilie nicht zur Verfügung, ist eine Unterbringung in einem Aufnahmezentrum mit speziellen Einrichtungen für Minderjährige oder in anderen für Minderjährige geeigneten Unterkünften erforderlich. Dabei ist wichtig zu beachten, dass unser Kinder- und Jugendhilfegesetz gemäß § 34 (Heimerziehung oder sonstige betreute Wohnform) und § 45 (Betriebserlaubnis) hinsichtlich der Unterbringung in Einrichtungen Anforderungen vorsieht, die über die Mindeststandards der EU-Aufnahmerichtlinie hinausgehen.
Im Clearingverfahren soll die persönliche Situation des unbegleiteten Minderjährigen, der Aufenthalt der Eltern oder von Verwandten, die Möglichkeiten der Zusammenführung mit Familienangehörigen im In- oder Ausland, seine Bildungsvoraussetzungen sowie besondere gesundheitliche Belastungen geklärt werden. Bei der Zusammenführung mit Familienange-hörigen/Verwandten ist zu prüfen, ob sie erziehungsfähig sind und das Umfeld stimmt. Nicht dass sich der 13 jährige bei seinem erwachsenen Bruder in einer Erstaufnahmeeinrichtung für Männer wiederfindet. Dann müssten beide in eine Erstaufnahmeeinrichtung für Familien unterkommen.
In Zweifelsfällen erfolgt eine Alterseinschätzung (Geburtsjahr), unter Umständen auch eine erneute Überprüfung der Minderjährigkeit. Problematisch, da kein abgesichertes Verfahren, Frau Schwarz hat darauf hingewiesen. Im Zweifel also immer für den jungen Menschen!
Das Clearingverfahren dient der Ermittlung des Jugendhilfebedarfs und ist die Basis für die Hilfeplanung des Jugendamtes (§ 36 SGB VIII). In diesem Kontext ist die Partizipation des jungen Menschen an allen ihn betreffenden Entscheidungen sowie sein Wunsch- und Wahlrecht zu beachten.
Liegen die Voraussetzungen vor, bewilligt das Jugendamt nach Beendigung der vorläufigen Schutzmaßnahmen Hilfen zur Erziehung (§§ 27ff SGB VIII). Bei Bedarf, z.B. bei andauerndem Schulbesuch oder einer bereits begonnenen Ausbildung, werden die Hilfen für junge Volljährige fortgesetzt. Leider ist hier nur die Fortsetzung vorgesehen und keine Erstantragstellung.
Während des Clearingverfahrens soll auch die aufenthaltsrechtliche Situation und die Sachverhalte für das weitere aufenthaltsrechtliche Verfahren geklärt werden. Um eine optimale kindeswohlorientierte Versorgung der unbegleiteten minderjährigen Flüchtlinge zu gewährleisten ist ein frühzeitiger Kontakt mit einer qualifizierten Beratungsstelle oder einer Rechtsanwältin unabdingbar. Dieser muss möglichst direkt zu Beginn der Inobhutnahme stattfinden, um eine falsche aufenthaltsrechtliche Weichenstellung zu vermeiden. Eine solche unabhängige ausländerrechtliche Beratung haben wir im letzten Jahr als Standard implementiert.
Die Bundesregierung hat nun am 15. Juli den Entwurf eines Gesetzes zur Verbesserung der Unterbringung, Versorgung und Betreuung unbegleiteter ausländischer Kinder und Jugendlicher beschlossen und damit eine Grundlage für eine landesweite wie bundesweite Verteilung unbegleiteter minderjähriger Flüchtlinge im SGB VIII geschaffen. Das Gesetz wird zum 01.11.2015 in Kraft treten, also in gut einem Monat. Momentan gehe ich von einer Zahl von ca. 60 unbegleiteten minderjährigen Flüchtlingen für die Stadt Münster aus. Sicher ist das nicht.
Der Gesetzentwurf sieht als neuen Verfahrensschritt eine vorläufige Inobhutnahme (neuer § 42a) im Aufnahmejugendamt vor. Während der vorläufigen Inobhutnahme unmittelbar nach der Einreise ist u.a. zu klären, ob das Kind oder der Jugendliche mit Familienangehörigen oder Verwandten zusammen geführt werden kann, ob es Gründe gibt, die einer Weiterreise bzw. Verteilung entgegenstehen, wie z.B. gesundheitliche Gründe oder eine Gefährdung des Kindeswohls.
Es ist vorgesehen, dass während der vorläufigen Inobhutnahme des Minderjährigen das Jugendamt die rechtliche Vertretung übernimmt. Aufenthaltsrechtliche Entscheidungen sollen in dieser Phase noch nicht getroffen werden. Angestrebt wird, dass die unbegleiteten minderjährigen Flüchtlinge innerhalb von 14 Tagen einem anderen Jugendamt zugewiesen werden. Nach vier Wochen soll keine Verteilung mehr stattfinden. Das Jugendamt, dem der junge Mensch zugewiesen wurde, nimmt dann in Obhut, stellt einen Antrag auf Bestellung eines Vormunds und sorgt für ein Clearingverfahren etc.
Im Hinblick auf die UMF sollte es ein differenziertes Jugendhilfeangebot in Münster geben.
Das war auch das Ziel unseres Antrags aus dem Jahr 2013.
Es ging darum zu prüfen, ob die vorhandenen Einrichtungen der Jugendhilfe sowohl für das Clearing als auch als möglicher Lebensort für unbegleitete minderjährige Flüchtlinge mit ihren speziellen Bedarfen und Bedürfnissen ausreichend und geeignet sind; d.h. ob es genug Plätze und die für die Zielgruppe erforderlichen besonderen Kenntnisse und Spezialisierungen vorliegen.
Die Prüfung sollte auf der Grundlage der damals neu erschienenen Handreichung zum Umgang mit unbegleiteten minderjährigen Flüchtlingen in Nordrhein-Westfalen mit den dort formulierten Anforderungen an das Clearing und ggf. sich anschließende Hilfen zu Erziehung erfolgen.
 
Das ist jetzt fast zwei Jahre her und wir erwarten von der Verwaltung, dass sie jetzt die Träger auffordert, ihr Interesse an der Aufgabe zu bekunden und entsprechende Konzepte einzureichen für weibliche und männliche unbegleitete minderjährige Flüchtlinge aus der ganzen Welt. Wir haben viele kompetente Träger in dieser Stadt, die in den Stadtteilen / Sozialräumen verortet sind. Das wäre auch gut für die Integration.
Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit.
Jutta Möllers


Das Jugendamt – Unterstützung, die ankommt http://www.unterstuetzung-die-ankommt.de/
Die Aufgaben von Jugendämtern und ihren engagierten Fachkräften sind vielfältig. Laut einer repräsentativen Forsa-Umfrage wissen 37 Prozent der Befragten mit minderjährigen Kindern nicht, welche Leistungen Jugendämter anbieten. Kinder, Jugendliche und Familien, die zu uns geflohen sind erst recht nicht.
Zu den wichtigsten Fragen rund um das Jugendamt finden Sie im folgenden die Antworten:

„Was Jugendämter leisten“ als PDF-Datei
Die beiden PDF-Broschüren bringen die Kernaufgaben der Jugendämter lesbar auf den Punkt:
Grundlegende Informationen in verschiedenen Sprachen

Pocketbroschüre zum Thema Kinderschutz