von Oliver Varelmann (und Florian Wüpping zum Genderstern)
Osten ist nicht Osten
„Viele von euch hatten vielleicht Befürchtungen, nach Dunkeldeutschland fahren zu müssen.“ Mit dieser gesunden Portion Selbstironie begrüßte Grit Michelmann, Vorsitzende des Grünen Stadtverbandes, die Delegierten in Halle an der Saale. Doch Halle ist anders, das wurde schnell klar. Pegida und Konsorten können sich nicht so festsetzen wie in Dresden oder Erfurt und der parteilose Bürgermeister beendet sein Grußwort mit dem Auftrag an die Grünen, in der Flüchtlingsfrage standhaft zu bleiben, wir hätten da seine volle Unterstützung.
Nach so vielen warmen Worten ging es an die Arbeit, die aktuellen Ereignisse in Paris eine Woche zuvor erweiterten die Tagesordnung.

BDK Ballon
Es gibt nur die eine Erde

Deutliche Statements
Eine deutliche Absage an Fremdenfeindlichkeit und an Terrorismus gab es am Freitagabend bei den Themen Paris und Integration. In den Reden von Cem Özdemir und Simone Peter, die natürlich bereits vorgezogene Bewerbungsreden für die Vorstandswahlen waren, wurden klare Haltungen zur Integration deutlich. Beide Bundesvorsitzenden versteckten ihre persönlichen Verbindungen zu dem Thema nicht. Simone Peter sagte, sie schäme sich, dass ihre jüdischen Verwandten sie fragten, ob sie noch gefahrlos nach Deutschland reisen könnten. Und Cem Özdemir stellte klar, dass kein „heiliges“ Buch über dem Grundgesetz steht.
Mehr Zeit, nachhaltige Wirtschaft
Flexible Erziehungszeiten, flexible Familienzeiten, flexible Auszeiten – die Arbeit an die individuellen Lebensbedürfnisse anpassen, nicht mehr und nicht weniger will der Beschluss zur Zeitpolitik.
Das zweite Topthema der nächsten Jahre ist die Wirtschaft, denn die muss CO2 sparen und die notwendigen Güter bereitstellen.
Halloren-Kugeln, Salz und Özdebier
Halloren Kugel
Allgegenwärtig: Die süße Hallorenkugel. Foto: Oliver Varelmann

Kulinarisch wurde auch einiges geboten. Allgegenwärtig waren die Halloren-Kugeln, gefüllte Schokoladenkugeln, die in Halle produziert werden. Die gab es auf der BDK und selbst beim Auschecken aus dem Hotel. Ein weiteres Lokalprodukt ist Salz, jede Delegierte bekam ein kleines Säckchen als Andenken. Und am Samstagabend gab es Freibier mit dem schönen Namen „Özdebier“. Gesponsort von Cem und dem Deutschen Brauereiverband.
Wiederwahl
Sehr harmonisch lief die Wahl des Bundesvorstands am Samstag ab, der gesamte Vorstand wurde wiedergewählt. Dabei hatten nur Simone und Cem überhaupt mit letztendlich chancenlosen Gegenkandidaturen zu kämpfen.
Auch bei der Wahl zu Parteirat blieb höchstens zu erwähnen, dass Kandidaturen aus Baden-Württemberg und Hessen durchfielen. Bei anwesenden Vertreterinnen und Vertretern der Medien und Grünen, die sich für Zahlenspiele begeistern, begann das rechnen, welcher potentielle Spitzenkandidat denn nun mehr Stimmen erreicht hatte (Toni Hofreiter bekam mehr als Robert Habeck und Katrin Göring-Eckardt eher wenig) und was das nun alles wieder für 2017 bedeutet.
Auf zu den Wahlen – und in den Urlaub!
Aber wichtig in der Politik sind die Inhalte und die stimmen nach diesem Parteitag bei den Grünen. Mit den Themen Integration und klimaschonender Wirtschaft sind wir gut aufgestellt für die nächste Zeit. Und noch wichtiger ist es, die Inhalte umsetzen zu können, deshalb heißt es für 2016 viel Erfolg für die Grünen in den Bindestrichländern Baden-Württemberg, Rheinland-Pfalz, Sachsen-Anhalt und Mecklenburg-Vorpommern. Die beiden letztgenannten Verbände haben sich eine sehr tolle Idee ausgedacht: Sie bieten Wahlurlaub an. Grüne aus ganz Deutschland können in den sechs Wochen vor der jeweiligen Wahl dort beim Wahlkampf helfen und Urlaub machen. Ob Zeltplatz, Ferienhaus oder Gästezimmer – alles ist dabei. Also, wer im Januar/Februar Sachsen-Anhalt oder im August/September das Ostseeland einmal auf ganz andere Art besuchen möchte, kann sich hier informieren:
gruene-mv.de/wahlurlaub
A Genderstar is born (von Florian Wüpping)
Am Sonntag wurde auf der BDK beschlossen, fortan in den meisten grünen Publikationen (d.h. Anträge, Beschlüsse und sonstige Veröffentlichungen) den sogenannten Genderstern zu verwenden. Dafür, dass im Vorfeld von einigen Medien viel Wind darum gemacht wurde, verlief die Abstimmung innerparteilich ohne Kontroversen und wurde mit großer Mehrheit angenommen – und da es die erste Entscheidung am Sonntagmorgen war, haben viele Kamerateams das noch nicht mal mitfilmen können. Es heißt nun nicht mehr „Freundinnen und Freunde“ oder „FreunInnen“ oder „Freund_innen“, sondern „Freund*innen“.
Warum der ganze Aufwand? Beim Genderstar handelt es sich um eine graphische Möglichkeit, die Diversität der Geschlechter auch in der geschriebenen Sprache sichtbar werden zu lassen. Damit soll also die geschriebene Sprache die außersprachliche Wirklichkeit endlich anerkennen und sie dementsprechend auch abbilden. Und das ist auch gut so! Wir Grüne wollen eine geschlechtergerechte Sprache und jegliche Formen von Diskriminierung vermeiden.
Die Kommentare in den sozialen Medien wie facebook, twitter, etc. sind zum Teil unerträglich und müssen an dieser Stelle nicht unbedingt wiedergegeben werden. Auch die heute show und TV total haben ihre Späße darüber gemacht. Bei Letzteren gehört es zum Beruf und bei Ersteren handelt es sich schlichtweg um Unwissende. Aber intolerante Menschen, die nicht nur mit Unverständnis auf unseren grünen Plan reagiert haben, sondern auch noch beleidigend werden und pauschal glauben, das sei doch alles Unsinn („Genderwahn“, „Blödsinn“, etc.), haben keinen Schimmer, worüber genau sie sprechen. Sie sollen einfach froh sein, dass es sie nicht betrifft und dass sie mit ihrer sexuellen Identität klarkommen. Aus Angst vor einem digitalen Shitstorm habe ich das Kommentieren in den sozialen Netzwerken sein lassen.
„Gender is between your ears. Not between your legs.“ ist ein wunderbarer Spruch, der die ganze Thematik kurz und prägnant zusammenfasst. Jede*r sucht sich sein*ihr Geschlecht nämlich selbst aus.
Ich jedenfalls war unglaublich froh, diesen Satzungsänderungsantrag am Sonntag für Bündnis 90/Die Grünen/GAL Münster mit beschließen zu dürfen. Damit wäre ein erster kleiner Schritt getan, der das binäre Denken („Mann-Frau“, „schwarz-weiß“, „gut-böse“) in unserer Gesellschaft wenigstens ein wenig aufbricht.