Folgender Antrag wurde auf der Mitgliederversammlung vom 22.11.2012 beschlossen:
„Für Bündnis 90/Die Grünen ist die rechtliche, ökonomische und gesellschaftliche Gleichstellung von Frauen und Männern eine der zentralen Fragen einer sozial gerechten Gesellschaftsordnung. Bis heute fallen die politische Realität und die verfassungsrechtliche Verpflichtung zur Gleichstellung der Geschlechter deutlich auseinander. Ob bei der Berufswahlorientierung, Entgeltgleichheit, der Frage nach dem Anteil von Frauen in Führungspositionen oder bei der Aufteilung unentgeltlicher sogenannter Care-Tätigkeiten (beispielsweise der Pflege und Versorgung von Angehörigen) zeigt es sich, dass Frauen und Männer in Deutschland de facto noch immer nicht gleichgestellt sind. Außerdem sind Frauen und Männer in unterschiedlicher Weise von politischen Entscheidungen betroffen. Dies zeigt  sich in bestechender Weise beim Betreuungsgeld oder dem Ehegattensplitting.
Während das Betreuungsgeld vermeintlich der gesamten Familie und damit beiden Geschlechtern die Wahlfreiheit zur Kinderbetreuung eröffnet, führen die ungleichen Lohnverhältnisse, Strukturen der
Arbeitswelt, Karriereentscheidungen und tradierte Geschlechterrollen in der Realität dazu, dass vor allem Frauen auf Erwerbsarbeit verzichten. In der Konsequenz führt dies zu enormen Nachteilen bei der weiteren beruflichen Entwicklung und der eigenständigen Existenzsicherung von Frauen. Die immer noch vorherrschenden unterschiedlichen Lebenslagen von Frauen und Männern sollen durch die Strategie des Gender Mainstreaming Eingang in alle politischen Prozesse und Entscheidungen finden und somit zu einer strukturellen Veränderung hin zu mehr Geschlechtergerechtigkeit führen.
Gender Mainstreaming ist seit 1997 als verbindliche Aufgabe für alle Mitgliedsstaaten der Europäischen Union im Vertrag von Amsterdam verankert. Ein solcher Prozess muss über die nötigen Ressourcen verfügen. Deshalb stehen Bündnis 90/Die Grünen für die konsequente Umsetzung des Gender Budgeting, als Teil des Gender Mainstreamings. Öffentliche Haushalte sind nicht  geschlechtsneutral! In ihnen drücken sich direkte und indirekte Aufgabenstellungen, aber vor allem auch politische Prioritätensetzungen aus. Klassischerweise werden in der Haushaltspolitik die besonderen Bedarfe von Frauen und Männern und die höheren strukturellen Benachteiligungen von Frauen kaum berücksichtigt. Frauen und Männer sind jedoch von den Auswirkungen der politischen Prioritätensetzung in unterschiedlicher Weise betroffen. Dies transparent zu machen ist ein erster wichtiger Ansatz des Gender Budgeting. Ziel ist die Berücksichtigung der Genderperspektive in allen
haushaltspolitischen Entscheidungen. Insbesondere in Zeiten knapper öffentlicher Kassen ist es von großer Bedeutung, die Verwendung öffentlicher Gelder transparent zu machen und in ihrer Wirkung auf unterschiedliche gesellschaftliche Gruppen zu überprüfen. Gender Budgeting bedeutet keine automatische Aufstockung des Gesamthaushaltes, sondern kann vielmehr zu einer Neufestsetzung von Prioritäten und Neuzuweisung öffentlicher Mittel im Sinne der Verwirklichung von Geschlechtergerechtigkeit führen. Denn es kann einen entscheidenen Beitrag zu einem zielgerichteten Einsatz öffentlicher Finanzen beitragen. In diesem Sinne halten wir es für politisch falsch, Gender-Budgeting-Ansätze nur unter guten haushaltpolitischen Ausgangslagen zu implementieren und sie im Prozess
notwendiger Haushaltkonsolidierung außen vor zu lassen.
Geschlechtergerechtigkeit ist keine Luxusfrage für (haushalts-)politisch gute Zeiten, sondern eine Frage sozialer Gerechtigkeit und gesellschaftlichem Zusammenhalts! Auch Sparmaßnahmen bedürfen dementsprechend einer genauen Analyse im Bezug auf ihre Auswirkungen auf Frauen und Männer. Insbesondere Kürzungen im sozialen Bereich treffen vor allem Frauen. Es zeigt sich, wo öffentliche Versorgungsleistungen reduziert bzw. zur Disposition gestellt werden, sind es vor allem Frauen, die dies auffangen. Gleichzeitig sind vor allem Frauen in caritativen Berufsfeldern tätig, die nicht nur schlechter bezahlt werden, sondern auch überproportional häufig von Kürzungen öffentlicher Gelder betroffen sind. Die Folgen der Umverteilung von Versorgungsarbeit auf den privaten Bereich haben ökonomische Einbußen und gesundheitliche Belastungen zur Folge. Diese „verdeckten“ Kosten werden zum größten Teil von Frauen getragen, haben aber auch gesamtgesellschaftlich ökonomische Folgen, die sich durch eine konsequente Gender-Analyse reduzieren ließen. Auf der anderen Seite werden Kürzungen im Infrastrukturbereich (Mobilität und Nahverkehr, Betreuungsangebote) und im wirtschaftlichen Bereich (z. B. Kürzungen des Gründungszuschüsses) unzureichend auf unausgewogene Auswirkungen auf die Geschlechter und auf eine evtl. höhere Benachteiligung von Frauen oder
Männern hinterfragt.
Wir erachten es als Aufgabe grüner Politik, auf allen Ebenen und in allen Politikbereichen eine geschlechtersensible Politikgestaltung im Sinne des Gender Mainstreaming und des Gender Budgeting einzufordern und voranzutreiben.“