„Zurück in die Steinzeit“, wählte ich zuerst  als Überschrift für meinen Beitrag, doch das wäre beschämend für die Ziegel- und die Kalksandsteinindustrien, die sich mittlerweile sehr engagiert beim energiesparenden Bauen zeigen. Deshalb vorab aus den neuen Gebäudeleitlinien der Stadt: „Ziele der Immobilienwirtschaft auf Gebäudeebene sind: 1.Nachhaltigkeit, wirtschaftliche und nachhaltige Erstellung, Instandhaltung und Betrieb der Gebäude, Minimierung der Kosten über deren gesamten Lebenszyklus.“
Diese Gebäudeleitlinien sind das Ergebnis eines Arbeitskreises aus allen Parteien unter Leitung des Amtes für Immobilienmanagement. Sie wurden vom Rat beschlossen. Die Stadt Münster propagiert und unterstützt den Klimaschutz, in der letzten Woche wurden beispielsweise über 30 Hauseigentümer mit dem Gütesiegel für die Altbausanierung ausgezeichnet und 70 Münsteraner Firmen kamen in der letzten Woche zur Klimaschutzveranstaltung. Von den Käufern städtischer Grundstücke verlangt die Stadt eine Unterschreitung des Zielwertes für die Wärmedämmung von 35 %.
Die Vorlage zur Kita „Kinderbachtal“ missachtet all diese Zielsetzungen, sie hält nicht einmal die gesetzlichen Vorgaben zum Klimaschutz ein. Bevor ich zu den einzelnen Kritikpunkten komme, möchte ich betonen, dass wir dem Bau der Kita „Kinderbachtal“ positiv gegenüber stehen, auch zu dem Standort, die Kita muss gebaut werden – aber nicht so, wie die Verwaltung uns vorschlägt!
Erneuerbare Energiegesetz (EE WärmeG)
Warum wird der Wärmeschutznachweis auf der Basis EEWärmeG 2009 geführt? Es gilt die Fassung EEWärmeG 2011. Danach müssen öffentliche Gebäude vorbildlichen Charakter haben. Deshalb ist der Primärenergiebedarf um 15 % und der Transmissionswärmebedarf um 30 % niedriger anzusetzen, wenn keine regenerativen Energien eingesetzt werden (siehe Anlage zum EEWärmeG VII, Maßnahmen zur Einsparung von Energie). Die Vorlage sieht lediglich eine Reduzierung des Transmissionswärmeverlustes um 15 % vor.
Gemäß § 2, Definition (2) 5 EEWärmeG 2011 ist ein „Öffentliches Gebäude jedes Nichtwohngebäude, das a) sich im Eigentum oder Besitz der öffentlichen Hand befindet und b) genutzt wird … für Aufgaben der Gesetzgebung“. Dies trifft für die Einrichtung zu, selbst wenn der Betreiber ein Privater ist. Die Vorgabe – 30% ist nahe an der Vorgabe für die Bürger der Stadt die ein Grundstück kaufen, sie müssen den Transmissionswärmebedarf um 35 % reduzieren. Warum nicht dann auch für die eigenen Gebäude diese Zielsetzung?
Die Falscheinstufung nach dem EEWärmeG macht das Energiekonzept dieser Vorlage nutzlos.
PHPP als Nachweisinstrument für den Wärmeschutz
Die Gebäudeleitlinien verlangen für kleine wie für große Gebäude die Nachweismethode Passivhaus Projektierungspaket (PHPP). Mit gutem Grund, diese Methode ist die einzig validierte Nachweismethode für den Wärmeschutz. Warum wird nicht mit dieser Methode gerechnet, warum wird nach der EnEV 2009 mit dem Mehrzonenmodell für Nichtwohngebäude gearbeitet? Gibt es hierzu neue Erkenntnisse, die wir bislang übersehen haben?
Sollen jetzt nicht nur die Inhalte der Gebäudeleitlinien getilgt, sondern auch die methodischen Ansätze?
Ich erwarte eine verbindliche Berechnung auf Basis des Passivhaus Projektierungspakets für die Normal- und die Reduktionsvariante. Nur so lassen sich die Ergebnisse sauber vergleichen, untereinander und auch mit den anderen Kitas in der Stadt Münster.
2-fach Verglasung
Warum wird in der Kostenermittlung der Reduktionsvariante mit einer 2-fach Verglasung gerechnet, Einsparung 5.461 €? Im Punkt 3 der Vorlage wird dies nicht erwähnt, in der Checkliste wird der UW-Wert trotzdem mit 0,09 W/m2K angegeben. Nur ein handwerklicher Fehler? Reduziert sich dann das Einsparpotential für den Wärmeschutz von ca. 46.000 € auf 40.500 €, somit von 2 % auf 1,8% der Bausumme?
PVC-Fenster
Wieso PVC-Fenster? Gibt es neue Erkenntnisse, lag der Rat mehrere Jahrzehnte lang mit seiner negativen Einschätzung von PVC-Produkten daneben? Hat die ökologische Qualität der PVC-Fenster im Vergleich zu anderen Fenstern zugenommen? Warum werden PVC-Fenster mit Holzaluminiumfenstern verglichen? Letzteres sicherlich meine Wunschkombination, jedoch auch die teuerste Lösung und die ökologisch sinnvollste.
Warum werden die PVC-Fenster nicht mit thermisch getrennten Aluminiumfenstern verglichen, die schon lange von der Stadt Münster eingesetzt werden? Sind Abstufungen nicht erwünscht, nicht diskutierbar? Aluminium lässt sich unter dem Aspekt Lebenszyklusbetrachtung zumindest vernünftig recyceln. Die Recyclingquote für Aluminium liegt bei 95 %. Sie sind zudem deutlich robuster als PVC-Fenster. Werden auch die Eingangstüren aus PVC hergestellt?
Warum erhalten wir Politiker vor einer so gravierenden Änderung keine Informationen, keine neue Einschätzung?
Fenstergewände
Warum werden in der Normalvariante 17 von 28 Fenstern breit eingefasst, gerahmt? In der Reduktionsvariante dagegen nur 1 Fenster von 28. Vergleichen Sie bitte die Ansichten. Die Reduktionsvariante sieht 3xmal besser aus wie die Normalvariante. Wurde die Normalvariante hier „gepusht“, um die Kostendifferenz nach oben zu treiben?
Unvorhergesehenes
Warum wird in der Reduktionsvariante 2,95 % der Bausumme für Unvorhergesehenes angesetzt, in der Normalvariante 4 %? Ist die Reduktionsvariante weniger risikobehaftet? Die Differenz zwischen 2,95 % und 4 % macht immerhin 33.000 € aus, dies entspricht in etwa den Kosten für die Fliesenarbeiten. Vorschlag: 3 % für beide Varianten, damit stimmt der Vergleich zwischen den beiden Varianten.
Heizungsanlage
In beiden Varianten soll die Heizungsanlage 48.134 € kosten. Wie das? Die Differenz des Jahresheizwärmebedarfs beträgt 30 kwh/m2/p.a., das ist erheblich. Kann das Heizungssystem der Normalvariante dann nicht kleiner dimensioniert werden? Zudem wird bei der Normalvariante die Wärmerückgewinnung der Lüftungsanlage den Räumen ein erhebliches Wärmepotential in den Räumen zur Verfügung stellen, bevor über die Heizung zugeheizt werden muss. Selbst wenn die Differenz nur 2. bis 3.000 € zu Gunsten der Normalvariante betragen sollte, ist die Gleichsetzung der Investitionskosten nicht tatsachengemäß.
Energieverbrauchskosten
Die Normalvariante kostet hinsichtlich der energetischen Standards offiziell 46.202 € mehr als die Reduktionsvariante. Dies sind 2 % der Baukosten. Andererseits werden ca. 30.000 kWh mehr pro Jahr an Gas verbraucht (genauer wissen wir es nicht, s. o., fehlende Vergleichsberechnung). Bei einer Abschreibungsdauer von 80 Jahren fällt dieser Mehrverbrauch jedes Jahr an. – ist das wirtschaftlich? Der Bund verlangt im Rahmen der Prüfungsunterlagen für die Bewertung der Nachhaltigkeit von seinen Gebäuden eine 50-jähriges Lebenszykluskostenberechnung für die Kostengruppe 300 und 400. Mir würden schon 30 Jahre genügen. Auch dann rechnet sich der Verzicht auf Energieeinsparung nicht, die Reduktionsvariante ist schlichtweg unwirtschaftlich. Dazu der Ratsbeschluss zur Vorlage V/005/2012,. Punkt 7.3: „Sollwertunterschreitungen dürfen jedoch keine Verschlechterung der Wirtschaftlichkeit von Maßnahmen im Rahmen der normalen Lebens- und Nutzungsdauer bewirken.“ Diese Vorgabe wird hier mit Sicherheit vernachlässigt
Lichte Raumhöhen, Belichtung
Warum wird bei der lichten Raumhöhe das Gegensatzpaar Reduktionsvariante: 2,90/3,90 zu Normalvariante: 2,50/3,50 m aufgebaut? Ich habe mir gestern 7 Kitas planerisch angeschaut, Kitas aus Münster und etlichen anderen Städten. danach wird in Münster bei neueren Kindergärten mit bis zu 2,75 m lichter Raumhöhe gearbeitet? Die Hessen schlagen als Untergrenze 2,80 m vor. Im Nachgang habe ich bei einer städtischen Tochter einen neuen Kindergarten mit 2,70 m lichter Raumhöhe gesichtet. Warum wird hier mit 2,50 m das Kind im Bade ausgekippt? Den Kindern gebührt eine Raumhöhe von mind. 2,75 m.
Machen wir hier nicht die gleichen Fehler wie im Wohnungsbau der 80er Jahre unter dem Aspekt kostensparendes Bauen? Die Raumhöhe wurde bis auf 2,40 m reduziert. Ein Irrweg, den ich selbst mitgegangen bin.
Zudem, haben Sie schon an die Nachfolgenutzungen gedacht? Flexibilität und Nachhaltigkeit der Nutzungen wären kaum drin! Eine Raumhöhe von 2,75 m sollte nicht unterschritten werden.
Das gleiche Thema stellt sich bei den Fenstergrößen unter Tagesbelichtung. Wenn die Fenstergrößen für Ruhe- und Schlafräume auf ein Mindestmaß reduziert werden, mag das für die Nutzung Kita funktionieren. Nur diese Entscheidung bindet den Betreiber und sie schränkt nachfolgende Nutzer deutlich ein, zum Beispiel wenn sie eine Büronutzung realisieren wollen!
Folgekostenberechnung
Warum sind die jährlichen Folgekosten mit 5,65 % bei der Reduktionsvariante höher als bei der Normalvariante mit 5,56 %? Warum wird die höhere Wertigkeit der Normalvariante nicht eingepreist? Warum werden die Betriebskosten für Heizung, Wasser und Strom etc. nicht in die Berechnung einbezogen? Wenn es Wissenslücken gibt bei der Wirtschaftlichkeitsberechnung bzw. bei der Lebenszykluskostenbetrachtung, so wäre es ein Leichtes gewesen, hierfür externe Fachleute anzusprechen. Z. B. Prof. Weischer von der FH Münster.
Apropro: Kosten für die Nutzer! Geradezu zynisch ist der Hinweis auf Seite 6 der Vorlage, die höheren Standards würden sich nicht amortisieren, weil die Kita an einem freien Träger vermietet wird. Ich weiß aus meiner eigenen Kindertagesstättenzeit in privaten Einrichtungen, dass wir sehr scharf waren auf niedrige Betriebskosten, selbst bei einem gedeckelten Betriebskostenzuschuss des Landschaftsverbandes. Den eingesparten Differenzbetrag konnten wir für die eigentliche Arbeit in der Kindertagesstätte nutzen, zu Gunsten der Kinder.
Nehmen Sie bitte die Nutzer ernst und nehmen Sie bitte das Thema Nachhaltigkeit im wirtschaftlichen Sinne ernst. Was ist in 10 – 15 Jahren, wenn der Run auf die Kindertagesstätten nachlässt, wenn sich die Förderungsbedingungen geändert haben, dann werden Nutzerkosten für die Stadt umso wichtiger?
Weitere Fragen
Nein, nicht an dieser Stelle. Hier habe ich gestern Abend beschlossen aufzuhören. Der Bereich Kostengruppe 500 Freianlagen müsste noch durchleuchtet werden, ebenso das Tragwerksplanungskonzept. Genug, obwohl der Text noch viel hergeben würde.
Fazit
Noch einmal Punkt 7.2 der Vorlage V/505/2012: „In diesen Zusammenhang sind die Standardabweichungen (Konzepte, Flächen, Massenqualitäten der Bauausführung) in der Vorlage darzulegen. Die Angaben der Kosten sollen sowohl einmalige wie auch dauerhafte Belastungen erkennen lassen nach dem Prinzip der Lebenszykluskosten aufgebaut sein.“ Dieser Auftrag des Rates ist eindeutig und sollte erst recht bei einer Vorlage berücksichtigt werden, die prototypisch sein soll für viele weitere Investitionsprojekte. Was uns vorliegt, entspricht diesem Anspruch überhaupt nicht.
Münster, 22.11.2012
Bernd Leuters
Sachkundiger Bürger im Ausschuss für Umwelt und Bauwesen, Die Grünen
 
Hier gibt es die Vorlage V/0719/2012.