Statement von Jutta Möllers, Ratsfrau und kinder-, jugend- und familienpolitische Sprecherin der Ratsfraktion Bündnis 90/Die Grünen/GAL
Mit dem Thema Armut habe ich mich erstmalig 1987 im Rahmen eines Forschungsprojekts zum Thema „Neue Armut in Nordrhein-Westfalen als wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Uni Münster beschäftigt.
Die Gründe und die Risiken für die Armut von Familien und damit für die Kinder, die wir damals herausgefunden haben ähneln denen von heute. Arbeitslosigkeit, Trennung und Scheidung, Alleinerziehen, mangelnde Bildungschancen und Bildungsferne u.v.m. sind hier zu nennen. Politik hat dies lange ignoriert und Armut individualisiert.
Den ersten „Kinderarmutsbericht der Stadt Münster gab es 2002. Bedauerlich ist jedoch, dass die Vielzahl der darin enthaltenen Empfehlungen nicht die gebührende Beachtung im politischen Handeln gefunden haben, heißt es gibt zwar Maßnahmen, die die Teilhabechancen in den unterschiedlichen Bereichen (Bildung, Gesundheit, frühe Förderung etc.) verbessern sollen, aber sie stehen eher unverbunden nebeneinander, sind kein Gesamtkonzept und erreichen zu einem großen Teil die jungen Menschen nicht.
Die Vorlage, die in den Mappen liegt, bringt es selbst auf den Punkt:
Nicht überall sind die Zugänge so beschaffen, dass die Angebote bei den betreffenden Kindern ankommen.
Ich sag mal so, dass was man nicht erreichen kann, kriegt man auch nicht und das fehlt.
Wie viele Kinder sind betroffen?
Die Gesamtzahl der Kinder und Jugendlichen unter 18 Jahren, die Leistungen nach dem SGB II, XII und dem Asylbewerberleistungsgesetz beziehen, ist mit 6.990 beziffert. Die Dunkelziffer dürfte höher sein, denn hier sind nur die berücksichtigt, die tatsächlich Leistungen beziehen. (Bericht des Sozialamts der Stadt Münster)
Ich bin daher froh, dass wir uns nun endlich mit diesem Thema aktiv auseinandersetzen und hoffe, dass wir es in Münster schaffen, die Armut von Kindern als Folge von Familienarmut wirksam und nachhaltig zu bekämpfen und darüber hinaus durch den Ausbau gezielter Präventionsangebote, Familien, die durch besondere Risiken belastet sind, früh zu erkennen und zu erreichen.
Wir brauchen dafür aus meiner Sicht
- Ein Bündnis gegen Kinderarmut auf gesamtstädtischer und sozialräumlicher Ebene in den Stadtteilen mit konkreten Zielen und einem entsprechenden konkreten Arbeitsprogramm. Dieses Hearing kann nur ein Anfang sein, den Blick für Umfang, Ursachen und Risiken der Armut von Kindern zu schärfen. Ein Gesamtkonzept, was alle Facetten dieses Problems aus der Perspektive von Kindern umfasst, muss entwickelt und umgesetzt werden.
- Wir brauchen eine qualifizierte systematische, kontinuierliche, sozialraumorientierte Familienberichterstattung, die die Aspekte Bildung, Gesundheit und soziale Lage (Armut) von Kindern, Jugendlichen und Familien umfasst, um ziel- und bedarfsorientierte Maßnahmen zu ergreifen.
- Zentral ist die Schaffung von Präventionsketten von der Schwangerschaft/Geburt letztlich bis hin zur Ausbildung und die Schaffung von Präventionsnetzwerken in den Stadtteilen / in den Sozialräumen. Hierfür muss es Fachkräfte geben, die die Koordination perspektivisch im Sinne eines sozialen Stadtteilmanagements übernehmen.
Was sich im Stadtteil Coerde als gut und hilfreich erwiesen hat, wird in anderen Stadtteilen ebenfalls dazu beitragen, die Lebensbedingungen und Teilhabechancen
Kindern, Jugendlichen und Familien verbessern. Da sich die Stadtteile unterscheiden, ist es wichtig, passgenaue Konzepte anknüpfend an den Ressourcen und mit den Akteuren vor Ort (Kindertageseinrichtungen, Beratungsstellen, Familienbildung, Schulen, Kirchen, Gesundheitshilfe, u.a. Geburtskliniken, Kinderärzte, Familienhebammen, kulturelle Einrichtungen etc.) zu entwickeln.
- Wir müssen das Projekt der Familienhebammen und die Hebammensprechstunden in den Kindertagesstätten aus dem Projektstatus endlich in verbindliche Strukturen überführen.
- Wir brauchen die finanzielle Entlastung von Familien, um ihnen Teilhabechancen zu ermöglichen. Ein Baustein ist hier der wiedereingeführte Münsterpass oder auch die stiftung MitmachKinder. Ein weiterer die Entlastung weiterer unterer Einkommensgruppen von Elternbeiträgen. Aber auch preiswerter, bezahlbarer Wohnraum spielt hier eine Rolle.
- Wir brauchen personell und sachlich gut ausgestattete Kindertageseinrichtungen, die eine qualitätsvolle Erziehung, Bildung und Betreuung gewährleisten. Sehnsüchtig erwarten wir hier eine Grundrevision des Kinderbildungsgesetzes unter der neuen Landesregierung.
- Wir brauchen eine Qualititätsoffensive in der Offenen Ganztagsschule, perspektivisch die gute Ganztagsschule für alle als Lebens- und Lernort für junge Menschen – kostenloses Mittagessen inbegriffen.
- Die Übergänge zwischen Kita – Schule, Schule – Berufsausbildung müssen so ausgestaltet werden, dass jeder junge Mensch einen Schul- bzw. Berufsabschluss nach seinen Möglichkeiten machen kann.
- Wir brauchen ein Konzept für ein inklusives Gemeinwesen, dass alle Handlungsfelder umfasst
- Gesundheitsförderung
- Kinder- und Jugendhilfe,
- Erziehung, Bildung und Schule
- Ausbildung, Arbeits- und Berufsleben
- Wohnen
- Stadtentwicklung
- Verkehr und individuelle Mobilität
- Soziale Unterstützung und Dienstleistungen(Gesundheit und Pflege)
- Kultur, Freizeit, Sport
- Politische Teilhabe und Mitwirkung
- Barrierefreie Kommunikation, Information und Service
- Und last but not least brauchen wir eine systematische Wirkungskontrolle, mit der wir unser Tun überprüfen.
Abschließend möchte ich sagen, dass wir jedes Kind, jeden jungen Menschen mitnehmen müssen. Wir brauchen eine neue Aufwachsenskultur für die Kinder und Jugendlichen. Das ist sowohl für junge Menschen wichtig als auch für die Entwicklung einer sozial inklusiven Stadtgesellschaft. Ich bin davon überzeugt, dass dies ein Prozess ist, der einen langen Atem braucht. Wenn wir uns hier aber alle engagieren, wird es gelingen. Langfristig wird dies die Kosten in vielen Bereichen senken, angefangen bei der Sozialhilfe, der Gesundheitshilfe, der Kinder- und Jugendhilfe.
Vielen Dank für die Aufmerksamkeit