Der Rat beschließt:
Die Verwaltung wird beauftragt:

  1. ein Hearing zum Thema „Kinderrechte für begleitete und unbegleitete minderjährige und junge Flüchtlinge umsetzen – eine drängende Handlungsaufforderung an die Kommunalpolitik“ für die Ausschüsse Kinder, Jugendliche und Familie, Soziales und Gesundheit sowie Schule und Weiterbildung wie auch den Integrationsrat und die Kommission zur Förderung der Inklusion von Menschen mit Behinderungen zu organisieren und – wenn möglich – am Tag der Kinderrechte am 20.09.2015 bzw. zeitnah hierzu durchzuführen.
  2. Die Verwaltung wird beauftragt, die möglichen Referentinnen und Referenten im Einvernehmen mit den im Rat vertretenen Fraktionen festzulegen.
  3. Die Verwaltung zudem beauftragt, im Rahmen des Hearings das kommunale Handlungskonzept unter Berücksichtigung bereits vorhandener Konzepte und Maßnahmen (wie z.B. Seiteneinsteiger oder Konzepte freier Träger, die sich auf diese Zielgruppe spezialisiert haben) vorzustellen und darüber hinausgehende Bedarfe sowie dafür bestehende Finanzierungsmöglichkeiten zu ermitteln.

Begründung:
Die Bundesrepublik Deutschland hat die UN-Kinderrechtskonvention im Juni 2010 in vollem Umfang anerkannt. Seit dem gelten sie ausnahmslos auch für alle ausländischen jungen Menschen. Im Originaltext besteht die Konvention aus 54 Artikeln, die von der Kinderrechtsorganisation UNICEF der Vereinten Nationen in zehn Grundrechten zusammengefasst wurden:

  • das Recht auf Gleichbehandlung und Schutz vor Diskriminierung, unabhängig von Religion, Herkunft und Geschlecht
  • das Recht auf einen Namen und eine Staatszugehörigkeit
  • das Recht auf Gesundheit
  • das Recht auf Bildung und Ausbildung
  • das Recht auf Freizeit, Spiel und Erholung
  • das Recht, sich zu informieren, sich mitzuteilen, gehört zu werden und sich zu versammeln;
  • das Recht auf eine Privatsphäre und eine gewaltfreie Erziehung im Sinne der Gleichberechtigung und des Friedens
  • das Recht auf sofortige Hilfe in Katastrophen und Notlagen und auf Schutz vor Grausamkeit, Vernachlässigung, Ausnutzung und Verfolgung
  • das Recht auf eine Familie, elterliche Fürsorge und ein sicheres Zuhause;
  • das Recht auf Betreuung bei Behinderung.

Von zentraler Bedeutung in der Konvention ist neben dem Vorrang für das Kindeswohl (Artikel 3) die Berücksichtigung des Kindeswillens (Artikel 12). Letzteres wurde bereits 1991 mit dem § 8 SGB VIII (Beteiligung von Kindern und Jugendlichen) gesetzlich verankert. Der Schutzauftrag bei Kindeswohlgefährdung § 8a SGB VIII trat im Oktober 2005 und das Bundeskinderschutzgesetz im Januar 2012 in Kraft. In NRW hat sich das Land mit der Aufnahme von Kinderrechten in Art. 6 der Landesverfassung grundsätzlich dazu verpflichtet, die Rechte von Kindern zu schützen und ihr Wohl zu fördern.
Die Kinder- und Jugendhilfe hat den gesetzlichen Auftrag, alle Kinder und Jugendlichen vor Gefahren für ihr Wohl zu schützen und positive Lebensbedingungen zu schaffen gemäß § 1 Abs. 3 SGB VIII. Dieser Auftrag muss in allen Bereichen vollumfänglich umgesetzt werden, wobei auf die speziellen Bedarfe und Bedürfnisse der jungen (un-)begleiteten Flüchtlinge, z.B. im Hinblick auf psychosoziale Versorgung von Kindersoldaten oder Opfern von Menschenhandel, zu achten ist. Auch die Trennung von der Familie bereits vor der Flucht oder auch während der Flucht sind sehr belastende Ereignisse.
Fragen, die sich in diesem Kontext u.a. stellen sind:

  • Sind unsere behördlich gestalteten Lebensumwelten und die Verfahren, die Flüchtlingskinder und – jugendliche durchlaufen, ausreichend auf das Wohl dieser jungen Menschen ausgerichtet? Die Längsschnittstudie der holländischen Sozialwissenschaftlerin Elianne Zijlstra (2012) zeigt beispielsweise, dass sich ein über längere Zeit unklarer Aufenthaltstitel auf Kinder besonders belastend auswirkt. Auch kann sich die Lebensumwelt in den Flüchtlingsunterkünften schädlich auswirken: etwa dadurch, dass Kinder dort Gewalt miterleben, durch das Leben auf engem Raum (Dichtestress) oder durch fehlenden Schutz vor sexuellen Übergriffen durch andere Mitbewohner. (Helming 2012)
  • Werden Beratungsansprüche an Beschäftigte in Flüchtlingsunterkünften nach § 8b SGB VIII (Fachliche Beratung und Begleitung zum Schutz von Kindern und Jugendlichen) bei gewichtigen Anhaltspunkten für Gefährdung erfüllt?
  • Werden die jungen Flüchtlinge entsprechend ihrem Entwicklungsstand an allen sie betreffenden Entscheidungen der öffentlichen Jugendhilfe beteiligt, auch um der Ohnmacht und Hilfelosigkeit Selbstwirksamkeit entgegenzusetzen.

Für die Umsetzung der Kinderrechte ist eine gute Zusammenarbeit/Vernetzung aller relevanten Akteure Jugendhilfeträger (öffentliche und freie), Gesundheitshilfe, Sozialleistungsträger (öffentliche und freie), Ausländeramt und Arbeitsverwaltung, Schule, Übergangsbegleitung Schule-Ausbildung-Beruf etc. erforderlich.
Beispielsweise verfügen viele junge Flüchtlinge über eine Vielzahl von Ressourcen und Entwicklungspotenziale, die ungenutzt blieben bzw. verkümmern würden, wenn sie nicht identifiziert und anerkannt bzw. gefördert werden. Ziel muss sein, die Chancen der jungen (un-) begleiteten Flüchtlinge am Übergang Schule – Ausbildung/Studium – Beruf, auf dem Arbeits- und Ausbildungsmarkt zu erleichtern.
Das beantragte Hearing soll nicht nur politikspartenübergreifend für das Thema in all seinen Facetten sensibilisieren und informieren, sondern auch zu einer qualifizierten und vollständigen Umsetzung der Kinderrechte für unbegleitete, minderjährige und junge Flüchtlinge in unserer Stadt beitragen.
gez. Jutta Möllers und Fraktion
gez. Stefan Weber und Fraktion
gez. Michael Jung und Fraktion
gez. Rüdiger Sagel und Fraktion
Quellen:

  • Bundesverband Unbegleitete Minderjährige Flüchtlinge e.V.: Handlungskonzept Partizipation in der stationären Kinder- und Jugendhilfe, November 2013
  • Ders.: Kinder zweiter Klasse – Bericht zur Lebenssituation junger Flüchtlinge in Deutschland, 2013
  • Freie Wohlfahrtspflege NRW: Uneingeschränkte Rechte für junge Flüchtlinge, September 2013
  • Deutsches Komitee für UNICEF e.V.: In erster Linie Kinder – Flüchtlingskinder in Deutschland 2014
  • DJI-Impulse Nr. 105: (Über)Leben – Die Probleme junger Flüchtlinge in Deutschland
  • Helming, Elisabeth (2012): Gefährdung durch sexuelle Gewalt in Flüchtlingsunterkünften. In: IzKKNachrichten, Heft 1, S. 18f. Im Internet verfügbar unter: www.dji.de/bibs/IzKK_Nachrichten_2012.pdf (Zugriff 14.01.2015))
  • Ministerium für Familie, Kinder, Jugend, Kultur und Sport des Landes Nordrhein-Westfalen, Ministerium für Inneres und Kommunales des Landes Nordrhein-Westfalen, LVR – Landesjugendamt Rheinland, LWL – Landesjugendamt Westfalen (Hrsg.); Handreichung zum Umgang mit unbegleiteten minderjährigen Flüchtlingen in Nordrhein-Westfalen, 2013