Hallo Hubert, in der US-amerikanischen Serie “The Wire”, die von vielen als die beste Serie aller Zeiten gefeiert wird, kommt ein Polizeikommandant auf die Idee, in einem Stadtviertel von Baltimore den Konsum von Betäubungsmitteln grundsätzlich zu erlauben, also ohne Polizeiverfolgung. Inspiration oder dumme Idee?
Antwort: Aus meiner Sicht eine Inspiration. Die Strafbarkeit des Konsums von Betäubungsmitteln und damit die polizeiliche Verfolgung ist nicht mehr zeitgemäß. Die Konsequenzen dieser Form der Drogenbekämpfung sind schädlicher als die Drogen selbst.
Seit 1. April 2024 ist Cannabis in Deutschland teillegalisiert. Menschen in Deutschland dürfen legal Cannabis besitzen und anbauen. Was ist deiner Meinung nach der nächste Schritt?
Antwort: Zunächst die vollständige Umsetzung des Koalitionsvertrages der Ampel. Dies bedeutet neben der am 01.04. in Kraft getretenen Entkriminalisierung des Erwerbs und Besitzes von bis zu 50 g Cannabis die Ermöglichung einer legalen Wertschöpfungskette vom Anbau bis zum Vetrieb unter staatlicher Kontrolle. Auch wenn die Regelungen zum Anbau für den Eigenbedarf und in den Anbauvereinen greifen, wird aus diesen legalen Quellen nur ein geringer Teil der Nachfrage gedeckt werden können. Die Mehrheit der Konsumierenden wird Cannabis auch zukünftig auf dem Schwarzmarkt beschaffen müssen. Dies ist gesundheits- und kriminalpolitisch natürlich zu kritisieren.
Mittelfristig muss darüberhinaus die Entkriminalisierung aller psychotropen Substanzen in den Blick genommen werden.
Kritiker*innen der Cannabislegalisierung werfen der Bundesregierung vor, mit der Legalisierung die organisierte Kriminalität zu unterstützen. Es gäbe eine “Bedarfslücke”, weil die Cannabis-Clubs in Teilen noch nicht existierten und die Cannabis-Pflanzen so schnell nicht hochgezogen werden könnten, und der Kampf der organisierten Kriminalität würde nun auf deutschem Boden ausgefochten. NRW-Innenminister Reul (CDU) hat vor “Zuständen wie in den Niederlanden” gewarnt. Wahrheit oder Unsinn?
Antwort: Dies ist ein Standardargument im Kulturkampf von konservativer Seite gegen die Cannabislegalisierung. Es ist geradezu absurd, den Legalisierungsbefürwortern die Schuld für das Erstarken der organisierten Drogenkriminalität anzulasten, die nur auf der Basis einer weltweiten Prohibitionspolitik horrende Profite erzielen konnte. Zu den Fakten: Mit Uruguay, Kanada und Malta haben drei Nationalstaaten sowie etwa die Hälfte der US-Bundesstaaten Cannabis legalisiert.
Wissenschaftliche Evaluation hat im wesentlichen den Erfolg bestätigt: Minderung von Kriminalisierung und Drogenkrankheiten, keine dauerhafte Konsumsteigerung. Wie man da über steigenden Konsum und von einer “Bedarfslücke” schwadronieren kann, bleibt schleierhaft. Herr Reul sollte eigentlich wissen oder er könnte sich, wenn er es denn wollte, kundig machen, dass der Drogenkrieg in den Niederlanden seine Ursache darin hat, dass über den Hafen Rotterdam der größte Teil des Kokains für den westeuropäischen Markt “eingeführt” wird. Dass in diesem Zusammenhang auch mal 12 Kilogramm Cannabis verloren gehen und in NRW wieder auftauchen ist da wohl eher ein Nebenkriegsschauplatz.
Ein weiterer Kritikpunkt ist, dass das Gesetz die Jugend nicht vor dem Konsum von Drogen schütze, den Konsum salonfähig mache und so die Jugend grundsätzlich gefährde? Ist da deiner Meinung nach was dran?
Antwort: Die Prohibition hat bisher auf keinen Fall einen Jugendschutz gewährleistet. Cannabis ist für jedermann ohne Altersbegrenzung jederzeit verfügbar. Es ist unstreitig, dass Kinder und Jugendliche wegen der besonderen Risiken beim Konsum von Cannabis besonders geschützt werden müssen. Deshalb ja auch die Altersgrenze von 18 Jahren im Konsumcannabisgesetz. Dies allein wird diese Altergruppe natürlich nicht vom Konsum abhalten. Was nötig ist, ist die tabufreie Diskussion über die Risiken des Konsums und flächendeckend altersgerechte Beratungs- und Präventionsangebote für Kinder und Jugendliche.
Nun gibt es auch Regeln zum Umgang mit Cannabiskonsum im Straßenverkehr. Sind diese deiner Meinung nach angemessen?
Antwort: Im Unterschied zur 0,5-Promillegrenze beim Alkohol gab es bisher keinen gesetzlichen Grenzwert für Cannabis. Bisher gingen die Straßenverkehrsbehörden und die Rechtsprechung davon aus, dass bei einer THC-Konzentration von mehr als 1 Nanogramm/ml Blutserum eine sichere Teilnahme am Straßenverkehr nicht mehr gewährleistet sei mit der Folge, dass Sanktionsmaßnahmen bis zur Entziehung der Fahrerlaubnis verhängt wurden. Diese Praxis geriet unter anderem deswegen zunehmend in die Kritik, weil dieser niedrige Wert bei regelmäßig Konsumierenden häufig auch Wochen nach dem letzten Konsum überschritten wurde und damit keinerlei Zusammenhang zwischen Konsum und Führen eines Kraftfahrzeugs mehr besteht.
Als Ergebnis der Diskussion hat die Bundesregierung entsprechend den Empfehlungen der Grenzwertekommission beim Bundesverkehrsminister den Grenzwert auf 3,5 Nanogramm/ml Blutserum festgelegt. Dies ist ein Schritt in die richtige Richtung, bleibt aber hinter unseren Forderungen zurück, den Grenzwert auf 10 Nanogramm entsprechend den Regelungen in anderen Ländern und im Interesse einer Gleichbehandlung mit der 0,5 Promillegrenze festzulegen.
Welche Auswirkungen hat die drogenpolitische Entwicklung in Deutschland bisher schon auf die Polizeiarbeit? Sind diese schon zu spüren? Was ist da deiner Meinung nach zu erwarten?
Antwort: Das ist schwer zu beurteilen. Drogenkriminalität ist Kontrollkriminalität, also nicht abhängig von Anzeigen oder Augenzeugen, sondern davon, wie viel Kontrollaufwand die Polizei etwa in Form von Razzien in der Drogenszene betreibt. Ob und inwieweit die Polizei auch in Zukunft “Kiffer jagt”, ist stark vom Verhalten einzelner Entscheidungsträger in Polizei bzw. Staatsanwaltschaften abhängig. Festzuhalten ist, dass sich die Polizei, vertreten durch die Polizeigewerkschaften, im Gesetzgbungsverfahren kritisch bis ablehnend zum Konsumcannabisgesetz geäußert hat. Unsere Botschaft an die Polizei ist jedenfalls: Was macht es für einen Sinn, durch hohen Kontrollaufwand einzelnen Konsumierenden das Überschreiten der legalen Besitzmenge nachzuweisen? Ihr habt wichtigeres zu tun.
Friedrich Merz hat angekündigt, dass er das Cannabisgesetz der Bundesregierung zurücknehmen möchte, wenn er Kanzler wird. Was würdest du Herrn Merz darauf antworten?
Antwort: Das habe ich auch erstaunt zur Kenntnis genommen, verbunden mit der Frage: Lieber Friedrich Merz, wie wollen Sie das denn in einem zukünftigen Bundestag durchsetzen? Die Ampelparteien, die das Gesetz ja gerade erst beschlossen haben, dürften Ihre Absicht wohl kaum unterstützen. Gleiches gilt für Die Linke bzw. das Bündnis Sahra Wagenknecht. Naja, dann bliebe als Mehrheitsbeschaffer neben Ihrer Fraktion wohl nur noch die AfD. Wenn Sie das so wollen, dann sollten Sie dies im Vorfeld auch laut und deutlich sagen.
Hubert Wimber war von 1997 bis Juni 2015 Polizeipräsident in Münster. Seit Dezember 2015 ist er Vorsitzender der Law Enforcement Against Prohibition in Deutschland.
Die Frage stellte Jörg Rostek, der Kreisverbandssprecher der GRÜNEN in Münster ist.