Der Co-Sprecher der GRÜNEN, Jörg Rostek, hat auf einer Veranstaltung der Studierendeninitiative Fridays For Israel eine Rede über Antisemitismus in Deutschland gehalten.
Er verurteilte darin nicht nur die Terror-Attacke durch die Hamas am 7. Oktober, sondern bezeichnete die vermehrt antisemitischen Vorfälle als „Schande für Deutschland und die politische Kultur in unserem Land“. Nie wieder, das sei nicht „irgendwann. Nicht in 10 Wochen, nicht in 10 Stunden, nicht in 10 oder 5 Minuten, sondern jetzt!“, so Rostek.

Übergriffe auf die jüdische Gemeinschaft seien „schon immer ein Seismograph für die politische Wetterlage“ in Deutschland gewesen,  so Rostek. Er bezeichnete den aufkommenden Antisemitismus als Kennzeichen des Erstarkens rechtsextremistischer politischer Strömungen.
Würde eine Person aufgrund eines Merkmals attackiert, sagte Rostek, und würde eine Gesellschaft dies unwidersprochen zulassen, dann sei „beim nächsten Mal ein anderer Mensch mit einem anderen Merkmal dran.“
Dann ginge es nicht darum, ob jemand Jude sei, sondern zum Beispiel um Hautfarbe „oder darum, dass du Muslim bist. Oder eine Frau bist. Oder schwul. Oder trans.“

In diesem Zusammenhang beklagte Jörg Rostek auch die Ergebnisse der aktuellen PISA-Studie, die ergeben hat, dass 26 Prozent der 15-jährigen, beim Lesen „leistungsschwach“ seien. Eine Krise des Bildungssystems, so Rostek, sei auch immer eine Krise der Demokratie.
Es sei kein Zufall, dass der Beauftragte gegen Antisemitismus der Uni Münster, Ludger Hiepel, darauf poche, die Antisemitismusprävention stärker in der Lehramtsausbildung zu verankern, weil vor allem Bildung die geistige Widerstandsfähigkeit verleihe, die ein Mensch brauche, um der antisemitischen Weltsicht nicht zu verfallen.

Rostek forderte eine politische Bildungsoffensive, um Kindern und Jugendlichen demokratische Werte und Kompetenzen zu vermitteln. „Die Frage, wie wir das Bildungssystem stärker nutzen können, um die Demokratie zu stärken, sollten wir schnell beantworten“, so Rostek. Nur so würde das Gemeinwesen politisch krisenfest und nur so würde jungen Menschen in einer krisengeschüttelten Zeit mehr Zuversicht und Halt geboten.

 

 

Rede anlässlich einer Kundgebung von „Fridays For Israel“ vor dem Fürstenberghaus in Münster am 08.12.2023 von Jörg Rostek (Es gilt das gesprochene Wort)

Danke, dass ich heute hier sprechen darf. Ich übermittle Grüße von den GRÜNEN in Münster. Seien Sie versichert: wir trauern mit Ihnen um die mehr als 1.200 Leben, die der verabscheuungswürdige Terrorangriff der Hamas am 7. Oktober gekostet hat.

Wir bangen mit Ihnen und euch um das Leben der Geiseln, die sich noch in Gefangenschaft befinden. Würde der Hamas auch nur irgendetwas an dem Leben der Menschen im Gaza-Streifen liegen, sie würde die Waffen umgehend niederzulegen, sich ergeben und alle Geiseln ausnahmslos freizulassen, Denn das wäre das Richtige.

Der Antisemitismus hat in Deutschland eine lange widerliche Tradition und seit dem Terrorangriff der Hamas und der militärischen Reaktion des israelischen Militärs wieder Hochkonjunktur.

Das hat der Zentralrat der Juden in Deutschland kürzlich mitgeteilt. Schmierereien, Beschimpfungen, persönliche Beleidigungen, Drohanrufe, Droh-E-Mails: ein Drittel der jüdischen Gemeinden in Deutschland sind betroffen.

So ist das heute. In Deutschland. Das ist eine Schande für unser Land, einem Land, das mit einer so schweren Schuld wie dem Holocaust leben muss. Deshalb ist es die Pflicht Deutschlands und aller Menschen, die hier leben, dafür zu sorgen, dass Menschen jüdischen Glaubens in Deutschland friedlich leben können. Und deswegen sagen wir: Nie wieder. Das ist jetzt! Nicht irgendwann. Nicht in 10 Wochen, nicht in 10 Stunden, nicht in 10 oder 5 Minuten, sondern jetzt!

Ich weiß nicht, wie groß die Rolle ist, die das Judentums in eurem Leben ganz persönlich spielt. Aber ich kann mir vorstellen, dass viele von euch, die jüdischen Glaubens sind oder jüdisch sozialisiert wurden, gerade weil es wieder so viel Antisemitismus in Deutschland gibt, gerade wegen der Attacke der Hamas und gerade weil das Schweigen einer Mehrheit gerade so dröhnend ist, jüdischer fühlen als jemals zuvor.

Ich kann gut verstehen, dass man sich angesichts des dröhnenden Schweigens, das weite Teile der deutschen Gesellschaft befallen hat, dass man sich gerade jetzt alleingelassen fühlen kann.

Aber ihr seid nicht allein.

Und um es klar zu sagen und unsere GRÜNE Position in der Sache klarzustellen – und zwar unverrückbar und eindeutig: Dem Antisemitismus, diesem Anschlag auf das Grundgesetz, diesem Angriff auf die offene Gesellschaft in Deutschland, dieser Attacke auf die politische Kultur, auf die Freiheit des Einzelnen und auf unsere Demokratie müssen und werden wir uns mit aller Kraft entgegenstellen.
Egal wo und egal wann. Ob am Arbeitsplatz, unterm Tannenbaum oder im Hörsaal.
Gemeinsam werden wir den Mut und die Ausdauer aufbringen, dieser Aufgabe gerecht zu werden.

Denn wenn eine Person aufgrund eines Merkmals attackiert wird, dann kann es beim nächsten Mal ein anderer Mensch sein, dann geht es halt um ein anderes Merkmal, zum Beispiel Hautfarbe. Oder dann geht es darum, dass du Muslim bist. Oder du wirst angegangen, weil du eine Frau bist. Oder schwul. Oder trans.

Die jüdische Gemeinschaft war leider schon immer ein Seismograph für die politische Wetterlage. Und das wir gerade in einer Zeit leben, in der Antisemitismus bei vielen Menschen wieder salonfähig ist, zeigt mir als GRÜNER nur, wie sehr unsere Demokratie durch autoritäre politische Strömungen europaweit unter Druck gerät.

Antisemitismus zeichnet sich dadurch aus, dass er Menschen abwertet. Er ist damit grundsätzlich autoritär. Er ist immer antiaufklärerisch, ignorant, inhuman und anti-intellektuell. Differenzierung ist seine Sache nicht. Er ist der Ausdruck fehlender Bildung und insbesondere fehlender politischer Bildung. Und das schadet grundsätzlich unserem demokratischen Gemeinwesen, weil es die Menschenrechte als tragende Säule der Demokratie als politisches System der Gleichheit der Menschen untergräbt.
Deutschland erlebt gerade eine Bildungskrise. Das haben Studien und jüngst nochmal die PISA-Studie nachgewiesen. Eine Bildungskrise aber ist immer auch eine Krise der Demokratie, weil nur Bildung die Widerstandsfähigkeit verleiht, die ein Mensch braucht, um beispielsweise der antisemitischen Weltsicht zu widerstehen.

30 Prozent der Jugendlichen in Deutschland, die den mittleren Abschluss anstreben, erreichen im Fach Deutsch die Mindeststandards nicht. Das hat natürlich auch mit der unterschiedlichen Herkunft der Schüler*innen zu tun. Es hat aber vor allem damit zu tun, dass wir Bildungsinhalte nicht richtig vermitteln, uns zu wenig auf die Lebensrealität der Jugend einlassen und den sozialen Hintergrund der Schüler*innen immer noch zu wenig berücksichtigen. Das muss sich ändern.

Wie sollen wir Wissen über den Holocaust und die Werte der Demokratie vermitteln, wenn 26 Prozent der 15-jährigen, beim Lesen leistungsschwach sind? Sie werden wohl nie die Büchern von Heinrich Heine, Franz Kafka, Paul Celan, Marcel Reich-Ranicki, Philipp Roth und Primo Levi lesen und so Lehren aus der Geschichte ziehen. Das ist ein enormer kultureller Verlust. Das dürfen wir so nicht hinnehmen.
Die Frage, wie wir das Bildungssystem stärker nutzen können, um die Demokratie zu stärken, sollten wir schnell beantworten und die nächsten 10 bis 20 Jahre eine Bildungsoffensive mit einem Schwerpunkt auf politische und demokratische Bildung starten, so dass die Kinder sich nicht mehr zu einer Autorität verhalten, sondern zueinander und so demokratische Werte entwickeln, die sie im Alltag gut gebrauchen können. So würden wir viele Probleme gleichzeitig lösen. Nur so machen wir unser Gemeinwesen politisch krisenfest und geben jungen Menschen in einer krisengeschüttelten Zeit Zuversicht und Halt.

Tun wir das nicht, gewinnen die zukünftigen Wahlen diejenigen, die die Manipulation der Meinungsbildung am besten beherrschen und nicht diejenigen, die reale Probleme wirklich lösen wollen.

Bis dahin: lasst uns gemeinsam für die Menschenrechte streiten. Für die Demokratie und gegen jeden Antisemitismus.

Jetzt, bei der Europawahl 2024, und weit darüber hinaus.

Danke für Ihre und eure Aufmerksamkeit.