Der Rat beschließt:
Die Verwaltung wird beauftragt,
zu prüfen, ob die vorhandenen Einrichtungen der Jugendhilfe sowohl für das Clearing als auch als möglicher Lebensort für unbegleitete minderjährige Flüchtlinge mit ihren speziellen Bedarfen und Bedürfnissen ausreichend und geeignet sind; d.h. ob es genug Plätze und die für die Zielgruppe erforderlichen besonderen Kenntnisse und Spezialisierungen vorliegen.
Die Prüfung soll auf der Grundlage der neu erschienenen Handreichung zum Umgang mit unbegleiteten minderjährigen Flüchtlingen in Nordrhein-Westfalen mit den dort formulierten Anforderungen an das Clearing und ggf. sich anschließende Hilfen zu Erziehung erfolgen. Die Verwaltung entwickelt auf dieser Grundlage ein entsprechendes Anforderungsprofil und schreibt die Aufgabe aus.
Begründung:
Das Jugendamt der Kommune, in der minderjährige Flüchtlinge ankommen, ist verpflichtet, diese in Obhut zu nehmen, einen Vormund zu bestellen und alle Vorkehrungen zum Schutz und zu Klärung der individuellen Situation in die Wege zu leiten.
Der Umgang mit unbegleiteten minderjährigen Flüchtlingen ist eine Kinderrechte- und Menschenrechtsfrage. Unbegleitete minderjährige Flüchtlinge brauchen nach ihrer Ankunft in Deutschland vor allem Schutz und zunächst Ansprechpartner,
- die zu ihnen in ihrer Muttersprache in Kontakt treten,
- die zuhören,
- die ihnen helfen, mit ihrem Leben ohne Eltern und enge Angehörige zurechtzukommen,
- die versuchen, einen normalen Alltag herzustellen,
- die fragen, was sie interessiert und was sie brauchen,
- die ihre Bildung fördern,
- die sie zunächst in einen Sprachkurs Deutsch vermitteln,
- die ihnen erste Zugänge in die deutsche Gesellschaft, insbesondere – angesichts häufiger Traumatisierungen zu unserem Gesundheitssystem vermitteln
Minderjährige Flüchtlinge haben häufig mit staatlichen Instanzen in ihren Herkunftsländern und auf der Flucht schlechte Erfahrungen gemacht, sodass sie zunächst auch deutschen Behörden gegenüber misstrauisch sind. Die angekommenen Kinder und Jugendlichen benötigen daher Zeit, einen spezialisierten Schutz und einen urteilsfreien Umgang mit der mitgebrachten Kultur. (s. Handreichung 2013 S. 6)
Ein Clearingverfahren (i.d.R. wird diese Aufgabe vom Jugendamt an freie Träger übertragen) kann sowohl als Angebot im Rahmen einer geeigneten Einrichtung der Jugendhilfe als auch in einer spezialisierten Clearingstelle durchgeführt werden. Dabei muss es sich jedoch um eine Einrichtung handeln, deren Angebote an den spezifischen Bedürfnissen unbegleiteter minderjähriger Flüchtlinge, die erst wenige Tage in einem fremden Land leben, ausgerichtet sind
Die Durchführung des Clearingverfahrens umfasst die Wahrnehmung aller Aufgaben, die im Zusammenhang mit der Versorgung und der Abklärung der rechtlichen Fragen stehen. Hierzu gehören in der Regel:
- Unterbringung und Sicherung der physischen und psychischen Grundbedürfnisse,
- Versorgung mit einem Schlafplatz, Verpflegung, bei entsprechendem Bedarf Kleidung und andere Leistungen,
- pädagogische Betreuung sowie ggf. psychologische Hilfen,
- Veranlassen der Gesundheitsüberprüfung
- anlassbezogene Abklärung und Behandlung von Krankheiten im Rahmen der Leistungen der gesetzlichen Krankenversicherung,
- Klärung von Anzeichen traumatischer Belastungen,
- Strukturierung des Alltags der Minderjährigen,
- Eröffnung von Bildungsperspektiven (Schulbesuch, Sprachkurs),
- Kontaktherstellung zu Bezugspersonen, Terminwahrnehmung, Freizeitaktivitäten, angemessene Spiel- und Erholungsmöglichkeiten, alltagspraktische Kenntnisse
- Information über Meldepflichten und Unterstützung bei Kontakten – ggf. auch Begleitung durch pädagogisches Personal – zum Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, zur Ausländerbehörde und anderen Behörden, Gerichten sowie Beratungsstellen in asyl- und ausländerrechtlichen Fragen, solange ein Vormund nicht bestellt ist bzw. in Zusammenarbeit mit dem Vormund,
- Feststellung eines jugendhilferechtlichen Bedarfs und Zusammenfassung der Ergebnisse des Clearingverfahrens als Grundlage für das Hilfeplanverfahren,
- Dokumentation von Fluchthintergründen und -umständen, des Verbleibs der Eltern, Bleibe-/Rückkehrmöglichkeiten, Familienzusammenführung in einem Drittland
Die Ausstattung der Einrichtung soll den individuellen Jugendhilfebedarf des unbegleiteten minderjährigen Flüchtlings berücksichtigen. Dies erfordert u.a. insbesondere:
- ein jugendgerechtes Umfeld,
- geschlechtsspezifische räumliche Trennung,
- Gemeinschaftsräume, Therapieraum, Büro für Nachtdienst und Betreuung,
- Doppel- und Einzelzimmer für Jugendliche (Ausstattung mit Doppelzimmern liegt in der speziellen Situation der Jugendlichen begründet. Aufgrund von kulturellen Hintergründen und Traumatisierungen kann dies ausdrücklich gewünscht werden),
- gute Verkehrsanbindung an das Stadtzentrum,
- sprachkompetente Fachkräfte und die Kooperation mit Sprachmittlern
- einen Träger, der sein Angebot auf die besondere Situation der UMF ausrichtet i.S. der Integration in das Konzept des Trägers und der Integration in das städtische Umfeld.
(vgl. auch Handreichung 2013 S. 16)
Das Anforderungsprofil an die Fachkräfte umfasst neben den Methoden der sozialen Arbeit ( z.B.: Aufsuchende Arbeit, lösungsorientierte Beratungstechniken, systemische Sichtweise und Beratung, Sozialraumkompetenz, Interkulturelle Kompetenz) Fremdsprachenkennt-nisse und Techniken der nonverbalen Kommunikation, umfassende Kenntnisse der Unterstützungsmöglichkeiten für UMFe in medizinischen, psychosozialen und juristischen Fragen sowie die Bereitschaft, insbesondere zu Beginn des Aufenthalts als einzige erwachsene Bezugsperson für den jungen Menschen da zu sein.
In Münster gab es im Jahr 2010 insgesamt 14 unbegleitete minderjährige Flüchtlinge, von denen 9 in Obhut genommen wurden, 5 davon waren nach kurzer Zeit abgängig, 4 wurden bei Verwandten aufgenommen, einer wurde in einer städtischen Flüchtlingseinrichtung für ältere Jugendliche untergebracht. Die aktuellen Zahlen liegen erheblich höher (ca. 30). Daher ist die Prüfung notwendig.
Die Kosten für die Betreuung der Unbegleitenden Minderjährigen Flüchtlinge bekommt die Stadt in vollem Umfang erstattet.
Münster als „Stadt der Bildung und Wissenschaft“ steht es zu Gesicht, zusammen mit der Verantwortung in Menschenrechts- und Kinderrechtsfragen, die unbegleiteten minderjährigen Flüchtlinge nach Aufnahme in der Kommune bestmöglich zu betreuen, zu bilden und ihnen Perspektiven zu eröffnen.
gez. Jutta Möllers
gez. Helga Bennink
gez. Dr. Petra Dieckmann
gez. Dr. Brigitte Hasenjürgen
gez. Gerhard Joksch
gez. Christoph Kattentidt
gez. Manfred Kehr
gez. Annette Kemper
gez. Hery Klas
gez. Jörn Möltgen
gez. Anne Naegels
gez. Carsten Peters
gez. Otto Reiners
gez. Tim Rohleder
gez. Dr. Ludwig Schipmann
gez. Dr. Rita Stein-Redent